Heimatfilm: Heut samma net lustig! | Kultur | ZEIT ONLINE.

Heut samma net lustig!

Ein starker Heimatfilm: „Was weg is, is weg“

Ein absaufender Kleinbus, ein umgestürzter Strommast, ein abgesägter Metzgerarm und ein Atommeiler, der gerade im fernen Tschernobyl durchglüht. Wenn solche Ereignisse gleichzeitig geschehen, handelt es sich um ein echtes Katastrophal. Das ist laut Karl Valentin »eine Art Energie, und wenn die exeplidiert, dann geht’s los, dann is dö ganze Welt hi«. In diesem Fall stürzt die Welt der drei Brüder Hansi, Lukas und Paul ein. Ihre verzwickte Geschichte beginnt anno 1968, als sie noch unschuldige Bauernbuben sind und miterleben, wie der Onkel Sepp seinen Pursogator in Betrieb nehmen will, eine Wundermaschine zur endgültigen Lösung der Energiefrage. Ein Stromschlag beendet das Jahrhundertexperiment. Seither liegt der Erfinder im Koma, und die Familie Baumgarten fällt auseinander. 18 Jahre später beschließt Lukas, die Welt zu retten, und heuert auf einem Greenpeace-Schiff an. Der Prolet Hansi, Vokuhila-Frisur, kanariengelbes Sakko, knallrote Zuhälter-Schleuder, macht windige Geschäfte. Paul ist zu einem Riesenbaby mutiert und hält sich für Jesus. Am Ende führt das Katastrophal alle wieder zusammen, wobei der Lehrsatz von Beckett gilt, dass nichts so komisch ist wie das Unglück.

Was weg is, is weg ist die erste Regiearbeit von Christian Lerch. Der 46-jährige Schauspieler ist kein Neuling im Genre Schwarzer Humor. Er trat in Achternbusch-Filmen auf und war Co-Autor des Drehbuchs zu Marcus H. Rosenmüllers Wer früher stirbt, ist länger tot, einer Komödie, die 1,8 Millionen Kinobesucher begeisterte. Nun ist Lerch ein fulminantes Debüt gelungen: ein Roadmovie auf Feldwegen, ein wilder Schwank, der zwischen Kruzifix und Kernkraft, BMW-Kult und Ökorevolte, katholischer Frömmigkeit und blindem Zukunftsglauben spielt. Jenseits des Absurden treiben den Regisseur allerdings ganz andere Deformationen um: Es geht um das Säurebad der Modernisierung, in dem sich alle Traditionen auflösen, um den Fortschritt, der das ländliche Milieu, die heilige Familie, die sozialen Bindungen zersetzt. Und es geht um die Kraft des Beharrens, den urbayerischen Anarchismus, die List und den Witz der Provinz gegen den Irrsinn unseres Zeitalters.

Ein Heimatfilm im besten Sinne also: Er konterkariert die Heut-samma-lustig-Industrie und ihre leitkulturelle Jodelseligkeit. Was weg is, is weg ist eine Parabel auf das Unwiederbringliche, frei von Schmalz und Nostalgie, zutiefst provinziell und zugleich universell, denn sie thematisiert das Unbehagen an der Globalisierung und ihren Verwerfungen. »Der Mensch braucht so etwas wie Heimat«, sagt Lerch. Sein Film verströmt jenen rückbesinnlichen Zeitgeist, der in den vergangenen Jahren jede Menge Dorfgeschichten und Familienepen hervorgebracht hat, darunter auch grimmige Romane wie Josef Bierbichlers Mittelreich, die den Mythos von der guten alten Zeit dekonstruieren.
Die Drehorte im Umland von Kraiburg am Inn, einer unverkitschten Gegend an der Peripherie Oberbayerns, die Authentizität der Darsteller (herausragend: Maximilian Brückner als Hansi und Johanna Bittenbinder als Mutter Baumgarten), die unverkünstelte Mundart, die valentinös-becketteske Komik – man weiß nicht, ob das in der Norddeutschen Tiefebene ankommt. Aber wer wissen will, was ein Katastrophal ist, sollte sich Was weg is, is weg unbedingt anschauen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert