Erinnerung an Frank Schirrmacher: Unser Leuchtfeuer.

Erinnerung an Frank Schirrmacher Unser Leuchtfeuer

Frank Schirrmachers Tod ist auch eine politische Katastrophe. Wie ist der Kampf um die Selbstbestimmtheit in der digitalen Revolution ohne ihn zu gewinnen? Halten wir uns an seine Devise.

16.06.2014, von Juli Zeh

Interview mit Günter Grass

© Helmut Fricke Vergrößern Politischer Vorkämpfer: Frank Schirrmacher

Waffenbruder ist ein altmodisches Wort und vermutlich nicht einmal positiv besetzt. Trotzdem verwende ich es seit einem Jahr, wenn ich an Frank Schirrmacher denke. In den letzten Monaten widmete er einen großen Teil seiner Energie dem Kampf gegen die gesellschaftlichen Folgen der digitalen Revolution.

Er hatte nicht nur die Bedeutung des aktuellen Epochenwandels verstanden, sondern auch beschlossen, etwas für die politische Domestizierung des Kommunikationszeitalters zu tun. Man kann dieses Engagement mit Fug und Recht einen Kampf nennen, weil die Gegner mächtig sind – Schirrmacher sprach drastisch vom militärisch-industriellen Komplex, gegen den es nicht nur die Bürgerrechte, sondern ein ganzes Menschen- und Gesellschaftsbild zu verteidigen gelte.

Auf diesem nach wie vor zu dünn besiedelten Schlachtfeld stellte er eine Schlüsselfigur dar. Die von ihm initiierte und moderierte Debatte zur digitalen Gesellschaft in der Frankfurter Allgemeine Zeitung besitzt historisches Format. Für mich und manchen anderen war sein publizistisches Voranschreiten ein Leuchtfeuer, das die immer wieder aufkommende Frustration vertrieb.

Wir machen weiter!

Unser letztes Telefonat vor zehn Tagen drehte sich um die Frage, ob der Kampf um die Selbstbestimmtheit des Einzelnen im digitalen Zeitalter überhaupt noch zu gewinnen sei. Bei allem Realismus in Bezug auf den begrenzten Einfluss des gesprochenen und geschriebenen Worts – vor allem auf einem Gebiet, das von mächtigen Konzernen und deren Lobbyisten, von machthungrigen Geheimdiensten und dem überschießenden Sicherheitsbedürfnis ganzer Staaten dominiert wird – war Schirrmachers Begeisterungsfähigkeit in der Lage, meinen gelegentlich schwindenden Glauben an die Sache immer wieder neu zu beleben.

Seine politische Euphorie sowie die schiere Lust am Kampf hatten etwas Ansteckendes. Seine Botschaft lautete: Wir machen weiter. Neben dem persönlichen Verlust ist sein Tod eine politische Katastrophe.

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Er hinterlässt eine Leerstelle, die so schnell niemand füllen wird. Wir alle, die für eine neue Phase politischer Aufklärung im Zeichen der Digitalität kämpfen, haben einen Waffenbruder verloren, einen klarsichtigen und einflussreichen Bruder im Geiste.

Ich weiß genau, was sich Frank Schirrmacher gewünscht hätte, wenn er seinen Tod hätte voraussehen können: Dass wir weitermachen, mit verdoppelter Anstrengung sogar. Bange machen gilt nicht. Aber unter dem ersten Schock des Verlusts regiert die Angst, dass es nicht zu schaffen ist. Nicht ohne ihn.

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