Überwachung: Diese Welt ist neu, ist sie auch schön? | ZEIT ONLINE.

Diese Welt ist neu, ist sie auch schön?

Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ wurde in Amerika als Manifest unserer nahen Zukunft gelesen. Jetzt erscheint er auf Deutsch. Er handelt vom gläsernen Menschen und von einer Firma, die im digitalen Zeitalter alles über uns weiß. Seit George Orwells „1984“ greift kein Werk unsere Angst vor Überwachung so dramatisch auf. Fünf Fragen zu diesem Buch – und fünf Antworten von , , , Marie Schmidt und

Überwachung: Diese Welt ist neu, ist sie auch schön?

Soziale Kontrolle und Überwachung kommen vielleicht ganz sanft daher, so wie dieser Architektenentwurf für den Apple Campus in Cupertino.  |  Abb.: Foster + Partners/ARUP/Kier + Wright/OLIN/Apple

Zeigt „Der Circle“ eine reale Firma?

Von David Hugendick

Alles, was aus dem Inneren des Internetkonzerns Google berichtet wird, alles, was erleuchtete Heimkehrer aus dem Silicon Valley über die nahezu kultische Atmosphäre des wichtigsten Suchmaschinendienstes der Welt erzählen, findet sich auch in Dave Eggers’ fiktivem Konzern The Circle: Da ist zum Beispiel der Minigolfplatz, da ist das 24-Stunden-Buffet für alle Mitarbeiter, da ist diese professionalisierte gute Laune, die alle Arbeit wie ein Spiel aussehen lässt. Es ist eine hochmoderne Ent- und Verwirklichungsanstalt, die dem entgrenzten Kapitalismus ein menschliches Antlitz gibt. Tatsächlich ist im Roman einmal von Google die Rede. Als Eggers sein fiktives Unternehmen beschreibt, heißt es, dessen Macht habe die von „Facebook, Twitter, Google“ überlagert, gleichfalls die der – ebenfalls fiktiven – Konzerne „Alacrity, Zoopa, Jefe und Quan“. In der Firma Circle haben sich alle bekannten Internetdienste zentralisiert.

Es fällt leicht, Circle für ein literarisiertes Google zu halten. Doch bezieht sich der Roman auf Google höchstens als eine Chiffre. Er bezieht sich auf die gängigen, bedrohlichen Projektionen, hinter denen sich alarmistische Diskurse verbergen: über die allmähliche digitale Annexion sämtlicher Lebensbereiche, über den gläsernen Bürger und über eine Macht, die sich staatlichem Zugriff und staatlicher Kontrolle entzieht. Dieser Roman verdichtet alle Schreckensbilder, die über das vermeintliche Allmachtsstreben von Internetkonzernen kursieren.

Die Geschichte spielt in der Zukunft, aber man erkennt die Phänomene des digitalen Zeitalters, die in Dave Eggers’ Roman vorkommen, schon jetzt frappierend gut wieder. Deshalb ist Der Circle in den USA, wo er vorigen Herbst erschien, kontrovers aufgenommen worden. Internetskeptiker fühlten sich verstanden, Technikkundige wiesen Eggers sachlichen Unverstand nach. Jedenfalls wurde das Buch viel gelesen, und ein Kritiker prophezeite ihm gerade in Deutschland Erfolg. Die Deutschen gelten den innovationsbegeisterten Amerikanern als besonders pessimistisch unter den düsteren Europäern.

Eggers fantasiert sie bloß aus: die Erlösungsvisionen von der technologischen Perfektibilität des Menschen und der Welt, die vom Silicon Valley aus verkündet werden. Die Wahlsprüche des Circle fassen sie gut zusammen: Geheimnisse sind Lügen, sharing is caring, Privatsphäre ist Diebstahl. Dass sich das Wesen der Menschheit durch permanente Kommunikation und allumfassende Transparenz zum Besseren wende, ist ein Dogma, das nicht nur Teile der realen Internetkonzerne (und die Piratenpartei) propagieren, sondern auch ihre – mehr oder weniger – intellektuellen Lobbyisten wie der Journalistikdozent Jeff Jarvis oder der Technikkreationist Kevin Kelly, aber auch Julian Assange von WikiLeaks („Geheimnisse sind Lügen“).

Für Eggers’ Darstellung des Silicon Valley gilt: Ein Gehirn wäscht das andere. Es ist die Hölle, die sich als Paradies verkleidet hat. Der gewöhnliche Circle-Mitarbeiter besitzt die brachial überzeichnete Mentalität des Digitaladventisten. Er will die hierarchielose Wertschätzung von Information, die Aufgabe des Privaten zugunsten der Gemeinschaft und besitzt ein vulgärhegelianisches Verständnis vom unaufhaltbaren Fortgang des Weltenlaufs, in dem gemacht wird, was (technologisch) gemacht werden kann und muss. Hinter seinem Komfortgequatsche verbirgt sich der Wunsch, die Welt in ein Panoptikum zu verwandeln, in dem jeder der Überwacher des anderen wird. All das zum Wohle der Gemeinschaft, in der das Individuum nur noch als auswertbarer Datensatz vorliegt.

Ob Google das in Wirklichkeit möchte, darf man bezweifeln – auch wenn sich in Die Vernetzung der Welt, dem Buch des Firmenchefs Eric Schmidt, Sätze finden wie dieser: „Transparenz und neue Chancen eröffnen unbegrenzte Möglichkeiten. Vernetzung und Technologien sind der beste Weg, um das Leben in aller Welt zu verbessern. Bekommen Menschen Zugang zu beidem, kümmern sie sich selbst um den Rest.“

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