T.C. Boyle: „Wie viel Mist haben wir heute!“ | ZEIT ONLINE.

„Wie viel Mist haben wir heute!“

Der Held in T.C. Boyles neuem Roman „Hart auf hart“ radikalisiert sich in der Natur. Liegt in der Wildnis noch das größte Versprechen von Freiheit? Interview: 

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Der Schriftsteller T.C. Boyle  |  © Jamieson Fry

ZEIT ONLINE: Mister Boyle, Ihr aktueller Roman Hart auf hart erzählt von einem jungen Mann, Adam, den es zurück in die Wälder zieht. Er ist gewalttätig. Er ist frustriert von unserer modernen westlichen Gesellschaft.

T.C. Boyle: Ja. Aber wir alle sind frustriert von der Gesellschaft. Jeder auf seine Weise. Wir sind frustriert von Regeln. Gehen Sie in einen deutschen Park! Das erste, was Sie sehen, sind unglaublich viele Regeln. Spucken verboten, Hunde verboten, von Brücken springen verboten, Spaß haben verboten, Atmen verboten. Das ist doch schrecklich. Andererseits: Gäb’s keine Regeln, wäre da nicht mal ein Park! Da wäre nur Dreck. Adam, dieser verstörte junge Mann, will sich zurückziehen in die Natur und nur von ihr leben. Er will sein selbst angebautes Opium verkaufen. Er will unabhängig sein.

ZEIT ONLINE: Gut, aber er läuft mit einem Sturmgewehr durch die Gegend.

Boyle: Er ist schizophren, und er leidet unter Wahnvorstellungen. Jeden, den Adam für einen Feind hält, nennt er Chinese.

ZEIT ONLINE: Ironischerweise schießt Adam mit einem chinesischen Sturmgewehr.

Boyle: Mein Roman basiert ja auf einer wahren Begebenheit. Im Jahr 2011 gab es einen Mann in Fort Bragg, der das getan hat, was Adam in meinem Buch tut. Ich habe den dicken Polizeireport und all die Details und die Ironie der Dinge stehen da drin. Aber um daraus Kunst zu machen, müssen diese Details gären und eine Struktur bekommen. Wenn Sie diese Parallelen und die Ironie sehen, freut mich das. Aber es ist die reale Welt, über die ich schreibe.

Video: Literatur - T.C. Boyle stellt sich Leserfragen

Er bezeichnet sich selbst als arroganten Punk und Besserwisser. Der Autor T.C. Boyle beantwortet Fragen von ZEIT ONLINE-Lesern und erklärt, was Schreiben zur Sucht macht. Video kommentieren

ZEIT ONLINE: In Ihrem Buch ist die Natur ein Ort der Radikalisierung. In der deutschen Literatur denkt man da sofort an Ernst Jünger, an den Waldgang, an eine Welt außerhalb der Ordnung.

Boyle: Das ist eine interessante Verbindung. Aber auch in den USA war der Wald, die Natur im Allgemeinen, lange Zeit ein Ort für die Unzufriedenen. Als das Land noch unerschlossen war, konnten die wirklich unzufriedenen, seltsamen Menschen einfach in die nächste Wildnis gehen. Danach gingen Menschen, die zurück zur Natur wollten, einfach nach Alaska. Das war die letzte Grenze in Hippie-Zeiten. Jetzt ist sogar Alaska nicht mehr die letzte Grenze. Nun gibt es keine Wildnis mehr.

ZEIT ONLINE: Natur als Ort des Ungehorsams. Da ist ja auch Henry David Thoreau nicht weit, der in eine Hütte zog und den Staat Staat sein ließ.

Boyle: Thoreau wird meistens als der Eremit der Wälder angesehen. Aber was die wenigsten dabei erwähnen: Er verbrachte einige Zeit im Gefängnis, weil er seine Steuern nicht zahlen wollte. Vergangenen Sommer bekam ich den Henry David Thoreau Preis und die Gastgeber nahmen mich mit zum Nachbau von Thoreaus Hütte am Walden Pond. Es war ungefähr drei Quadratmeter groß. Alles drin, was man brauchte! Ein Ofen, ein Bett, ein Stuhl, das war’s. Aber Thoreau lebte ja nur wenige Meilen von einem Ort entfernt. Er konnte also jeden Tag ins Café gehen, über Politik reden und dann ging er zurück in den Wald.

ZEIT ONLINE: Ihre Figur Adam würde wohl sagen, Thoreau war ein Heuchler.

Boyle: Ja, vermutlich!

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