Es postet, also bin ich

Soziale Netzwerke üben uns in Toleranz. Wer Emoticons verwendet, verliert seine Sprache. Roberto Simanowski blickt in seinem Buch auf den digitalen, heimatlosen Menschen.
Facebook bietet den Raum für die Anerkennung der eigenen Existenz, schreibt Roberto Simanowski.
Facebook bietet den Raum für die Anerkennung der eigenen Existenz, schreibt Roberto Simanowski. © William Iven/unsplash.com

Lückenlose Überwachung, ungefilterte Informationsflut, ein geglätteter Raum des „Gefällt-mir“ – beinahe täglich überschwemmt das Netz eine ebenso ungefilterte Flut an Netzkritik, die uns erklären will, warum uns Facebook dumm, fett und faul macht. Die Digital Natives rollen mit den Augen und scrollen weiter; die Netzkritiker posaunen weiter ins Leere. Längst wären die Fronten verhärtet, gäbe es da nicht Roberto Simanowski, der sich zwischen alle Stühle setzt.

Facebook-Gesellschaft hat der Literatur- und Geschichtswissenschaftler, der seit 2014 in Hongkong lehrt, sein aktuelles Werk provokant betitelt. Doch liegt ihm viel daran, den Vorwurf des Kulturpessimismus von vornherein zu entkräften. Gleich auf Seite eins führt Simanowski den literaturbesessenen Studenten von anno dazumal ins Feld, der mit seinem Buch vor der Nase gegen Laternenpfähle rannte oder im Teich landete. Eine für Außenstehende groteske Erscheinung, in etwa so zombiehaft wie heutzutage all die Menschen in der S-Bahn, an der Bushaltestelle oder im Kaffeehaus, die weltvergessen in die Minibildschirme ihrer Smartphones versinken.

Von Bildungsdünkel, Werteverfall und einem Früher-war-alles-besser will Simanowski so gar nichts wissen. Zwar zitiert er in Facebook-Gesellschaft – wie bereits in seinem 2013 erschienenen Essay Data Love – einige weniger alarmistisch argumentierende Kollegen wie Byung-Chul Han oder Evgeny Morozov, doch ist sein Fokus ein subtil anderer: Während uns Morozov in Smarte neue Welt 600 Seiten lang davor warnt, das verführerisch Angerichtete nicht einfach so zu schlucken, fragt Simanowski sich, warum wir überhaupt so leicht verführbar sind. Eine Sichtweise, die sich deutlich vom gerne porträtierten Bild der „Datenkrake“ absetzt, die uns arme, wehrlose Menschlein gnadenlos umklammert hält. Und damit auch von einer längst überholten Orwell’schen Feindlogik, die den mündigen Bürger gegen ein repressives System in den Ring schickt. Stattdessen versucht Simanowski systematisch die Attraktivität von Facebook zu ergründen, die „kulturelle Basis des Lock-in“ – wobei Facebook stellvertretend für vergleichbare soziale Netzwerke mit ähnlichen technischen und sozialen Dispositiven steht.

In Facebook-Gesellschaft nähert er sich zum einen der Frage, wie sich wirtschaftliche und politische Interessen, die hinter den Algorithmen stecken, an menschliche Grundbedürfnisse andocken und diese verstärken. Zum anderen stellt er die These auf, dass die auf Facebook und vergleichbaren Plattformen propagierte Art der Selbstdarstellung und Kommunikation unsere Selbst- und Weltwahrnehmung grundlegend verändert. Und behandelt damit letztendlich nicht weniger als die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Wer jetzt ein Rundum-Netzbashing erwartet, liegt allerdings falsch. Vielmehr ist Facebook-Gesellschaft eine kluge, dialektisch gehaltene Abhandlung, die das Problem in seinen geschichtsphilosophischen, anthropologischen und psychoanalytischen Dimensionen angeht.

Anstatt die im Netz grassierende Flut von Selfies, Foodies und Katzenvideos als Ausdruck einer unglücklichen Verquickung von Voyeurismus und Narzissmus abzutun, attestiert Simanowski dem postmodernen Subjekt eine „metaphysische Obdachlosigkeit“, die es erst einmal zu kurieren gilt. Er verhält sich also – und das unterscheidet ihn von den meisten anderen Netzkritikern – wie ein guter Therapeut, der die Wünsche, Bedürfnisse und Leiden seiner Patienten zunächst wertungsfrei anerkennt. Zumal die existenzielle Heimatlosigkeit, der Facebook und andere Netzwerke eine willkommene Abhilfe versprechen, keineswegs einem kollektiven Verblendungszusammenhang entspringt, den das Digitale erst hervorgebracht hätte.

Es ist also kein Wunder, dass sich Simanowski in seiner Analyse vor allem auf Dichter und Denker beruft, die lange vor der Ankunft des www operierten. Seien es Johann Wolfgang von Goethe und Ludwig Tieck, deren fiktive Helden eine „Begierde nach und Flucht vor dem Augenblick“ eint – eine Zwickmühle, aus der ihnen Facebook den perfekten Ausweg geboten hätte – oder Walter Benjamins und Siegfried Kracauers Betrachtungen zur mechanischen Reproduktion der Realität, die in Facebook, Instagram und Snapchat ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Interessant und originell sind genau diese Exkurse und Rückbezüge, in denen die Verschiebungen von Text zu Bild, vom Narrativen zum Numerischen als soziokulturelle Entwicklungen hervortreten, die nicht erst mit Facebook begonnen haben und die weit über das Digitale hinausweisen.

Die „Heimat des Netzwerks“

Eine „stumme Gesellschaft“ sei die Folge des Massenmediums Fotografie, schreibt Kracauer in den 1920er Jahren, da die uncodierte Wiedergabe der Wirklichkeit das Bewusstsein mehr und mehr auf bloße Zeugenschaft reduziere. Als „stumm“ ließe sich auch die inhaltsleere Kommunikation im Social Web bezeichnen, die einzig darauf ausgerichtet ist, durch ein stabiles Gleichgewicht an Input und Output die kybernetische Maschine am Laufen zu halten. War es vor rund 90 Jahren die „Angst vor dem Objekt“, die Kracauers Zeitgenossen dazu trieb, eine Kamera zwischen sich und die Welt zu halten, so „rettet das Teilen des Hier und Jetzt mit den Freunden im sozialen Netzwerk […] aus dieser rastlosen Apathie, aus dieser Verlorenheit im Ereignishaften“. Dienten Fotos früher zumindest noch dem Zweck des künftigen Erinnerns, füllt sich heute das digitale Archiv derart schnell mit Bildern, dass kaum Zeit bleibt, jemals zu ihnen zurückzukehren. Die bewusste Wahrnehmung des Erlebten verschiebt sich folglich nicht in die Zukunft, sondern wird gänzlich an andere Instanzen delegiert. Oder, wie Simanowski es ausdrückt, „in die ‚Heimat‘ des Netzwerks“ verwiesen.

Seitennavigation

Nächste Seite Die automatische Biografie

Jarett Kobek: Eine Abrissbirne für das Silicon Valley

Der Amerikaner Jarett Kobek ist ein hochbegabter Polemiker. Sein Roman „I Hate the Internet“ schimpft und wütet über die digitale Gegenwart – ein großes Vergnügen.
Mit kalter Wut verwehrt sich Jarret Kobek in "I Hate the Internet" gegen die Erlösungslehren der digitalen Welt.
Mit kalter Wut verwehrt sich Jarret Kobek in „I Hate the Internet“ gegen die Erlösungslehren der digitalen Welt. © Arnel Adaoag/eyee

Bücher über das Internet sind schrecklich. Dem Buchmarkt mangelt es weder an vorwurfsvollen Pamphleten über die vermeintliche Unkultur noch an weihevollen Andachten an die angeblich revolutionäre Kraft des Internets, in der Gadgets das Leben ausschließlich bereichern, Social Media Diktaturen stürzen, Streaming die Kultur befreit und Suchmaschinen gewissermaßen die Fortführung von Immanuel Kant mit anderen Mitteln sind.

Für die Akteure von Kritik und Affirmation sind die Schmähbegriffe Netzskeptiker und Netzapologeten üblich geworden, als ginge es beim Internet und der Digitalisierung um einen quasireligiösen Endkampf, der auf dem Büchertisch ausgetragen wird. Wobei die Kritik an den Folgen der Digitalisierung des Lebens mittlerweile eine größere Müdigkeit hervorruft als die Autoren, die pausenlos in eine digitale glorreiche Zukunft hineinjubeln, als wäre eine da.

 Das hängt damit zusammen, dass die Kritik am Internet – noch immer oder schon wieder ­– meistens im besorgten Ton vorgetragen wird, mit der sich sonst gegenwärtig nur Ohrensesselapokalyptiker zu Themen wie Europa, Euro, Migration und allgemeinem Werteverfall erleichtern. All das hilft möglicherweise, um die Begeisterung zu verstehen, die Jarett Kobeks Roman in den USA ausgelöst hat, obwohl er den nicht sonderlich subtilen Titel trägt: I Hate the Internet. Jarett Kobek ist 38, Amerikaner mit türkischen Wurzeln, früher arbeitete er in San Franciscos Technologiebranche, wo er laut Selbstauskunft Jobs für wenig und für sehr viel Geld gemacht habe.

Die Stadt hat Alzheimer

Der Roman I Hate the Internet ist sein drittes Buch, und es landete als erstes Buch, das im Selbstverlag erschienen ist, auf der Seite eins des Literaturteils der New York Times. Das war Anfang dieses Jahres. Dort verglich der Kritiker Kobeks moralische Gnadenlosigkeit mit Michel Houellebecq, seinen Gerechtigkeitssinn mit Thomas Piketty und seine feine Sprachkritik mit Ambrose Pierce. Im Grunde also wurde Kobek aus dem Nichts auf eine literarische Landkarte geworfen, auf der er, wie er in einem Interview sagte, das Meiste sowieso nicht ertragen könne.

Ohnehin kann Kobek an der Gegenwart, der digitalen zumal, sehr wenig ertragen. Er ist ein Autor, der Sätze schreibt wie: „Nichts verheißt mehr Individualität als 500 Millionen elektronische Geräte, die von Sklaven gebaut wurden. Willkommen in der Hölle.“ Mit kalter Wut wirft sich Kobek in seinem Roman dem kalifornischen Zeitgeist entgegen, den Erlösungslehren des Silicon Valley, der Vorstellung, die neuen digitalen Unternehmer seien die Heiligen einer neuen freien Welt. Kobek schreibt an gegen den allgemeinen Verblendungszusammenhang, den er in unserem Umgang mit Technologie vermutet.

Der türkisch-amerikanische Autor Jarret Kobek, 38, hat in der Technologiebranche gearbeitet, bevor er zu schreiben anfing.
Der türkisch-amerikanische Autor Jarret Kobek, 38, hat in der Technologiebranche gearbeitet, bevor er zu schreiben anfing. © privat

Sein Roman spielt in San Francisco, seine Protagonistin heißt Adeline, eine mehr oder weniger erfolglose Comiczeichnerin, die in einem aufgesetzten Akzent Englisch spricht und deren größtes Vergehen es war, im Internet etwas Dummes zu sagen. Seither wird sie auf Twitter und in anderen sozialen Netzwerken mit Hass verfolgt. Es geht im Buch auch um Adelines Freundschaft zu Jeremy, einem Afroamerikaner, ein ebenso erfolgloser Zeichner. Es geht um unmoralische Söhne von Scheichs und ehrgeizige Start-up-Unternehmer und um den Verfall der Stadt San Francisco, in der die Ärmeren von Tech-Arbeitern verdrängt werden. Die Stadt sei, schreibt Kobek, als hätte sie Alzheimer. Alles sei wie immer, nur etwas fehle.

Suada auf Speed

Wenn die typische Romanfigur der Neunziger nicht wusste, in welchem Turnschuh sie in die Geschichte treten sollte und ob das Leben so ist, wie man denkt, oder doch nur, wie es aussieht, so vereint Kobeks Figur Adeline alle modernen Leiden der digitalen Existenz in sich: sowohl den Drang zur Dauerperformance als auch die Zumutungen des ständig bewert- und kommentierbaren Lebens. Die satirische Romanhandlung dient Kobek nur als exemplarischer Rahmen, den er mit Reflexionen über den moralischen Zustand der digitalen Welt füllt und zwischen denen er mit der gleichen Hyperaktivität herumspringt, die er am normalen Internetnutzer feststellt.

Kobeks Begabung ist weniger die eines Romanciers als die eines gnadenlosen Beobachters, dessen Witz und Assoziationsgabe eine unterschwellige Verzweiflung kaum verstecken können. Das Buch ist eine Suada auf Speed, in der die humoristische Verachtung für die digitale Ökonomisierung aller Lebensbereiche mit großer Präzision und Wucht abgefeuert wird. In seiner rasenden Bewusstseinsschärfe erinnert das an Rainald Goetz.

Konstruktion weißer Privilegien

Wenn Kobek über die Größen des Silicon Valley schreibt, klingt das so: „Facebook made it’s money through an Internet web and mobile platform which advertised cellphones, feminine hygiene products and breakfast cereals (…) Facebook was invented by Mark Zuckerberg, who didn’t have much eumelanin in the basale stratum of his epidermis.“ Oder über Ayn Rand, die Schutzheilige aller libertären Kapitalisten: „Her endless novel Atlas Shrugged was about 800 pages long. The book was about money is awesome and rich people are awesome and everything is awesome except for poor people who are garbage who should die in the gutter.“

Diese ins Satirische gewendete lexikalische Sprache vieler Passagen ist nicht nur von entlarvender Genauigkeit, sondern parodiert auch den Erklärstil der Wikipedia. Ähnlich wird in repetitiver (und gelegentlich enervierender) Manier dem iPhone bei jeder Erwähnung hinzufügt: It changed everything.

An anderen Stellen stellt Kobek Listen auf, die eindeutig auf das Portal Buzzfeed verweisen, das er eine wundervolle Seite nennt, auf der man viel über die Konstruktion weißer Privilegien lernen könne.

Nächste Seite „Fick dich, bis du auf der Straße liegst“