Jarett Kobek: Eine Abrissbirne für das Silicon Valley

Der Amerikaner Jarett Kobek ist ein hochbegabter Polemiker. Sein Roman „I Hate the Internet“ schimpft und wütet über die digitale Gegenwart – ein großes Vergnügen.
Mit kalter Wut verwehrt sich Jarret Kobek in "I Hate the Internet" gegen die Erlösungslehren der digitalen Welt.
Mit kalter Wut verwehrt sich Jarret Kobek in „I Hate the Internet“ gegen die Erlösungslehren der digitalen Welt. © Arnel Adaoag/eyee

Bücher über das Internet sind schrecklich. Dem Buchmarkt mangelt es weder an vorwurfsvollen Pamphleten über die vermeintliche Unkultur noch an weihevollen Andachten an die angeblich revolutionäre Kraft des Internets, in der Gadgets das Leben ausschließlich bereichern, Social Media Diktaturen stürzen, Streaming die Kultur befreit und Suchmaschinen gewissermaßen die Fortführung von Immanuel Kant mit anderen Mitteln sind.

Für die Akteure von Kritik und Affirmation sind die Schmähbegriffe Netzskeptiker und Netzapologeten üblich geworden, als ginge es beim Internet und der Digitalisierung um einen quasireligiösen Endkampf, der auf dem Büchertisch ausgetragen wird. Wobei die Kritik an den Folgen der Digitalisierung des Lebens mittlerweile eine größere Müdigkeit hervorruft als die Autoren, die pausenlos in eine digitale glorreiche Zukunft hineinjubeln, als wäre eine da.

 Das hängt damit zusammen, dass die Kritik am Internet – noch immer oder schon wieder ­– meistens im besorgten Ton vorgetragen wird, mit der sich sonst gegenwärtig nur Ohrensesselapokalyptiker zu Themen wie Europa, Euro, Migration und allgemeinem Werteverfall erleichtern. All das hilft möglicherweise, um die Begeisterung zu verstehen, die Jarett Kobeks Roman in den USA ausgelöst hat, obwohl er den nicht sonderlich subtilen Titel trägt: I Hate the Internet. Jarett Kobek ist 38, Amerikaner mit türkischen Wurzeln, früher arbeitete er in San Franciscos Technologiebranche, wo er laut Selbstauskunft Jobs für wenig und für sehr viel Geld gemacht habe.

Die Stadt hat Alzheimer

Der Roman I Hate the Internet ist sein drittes Buch, und es landete als erstes Buch, das im Selbstverlag erschienen ist, auf der Seite eins des Literaturteils der New York Times. Das war Anfang dieses Jahres. Dort verglich der Kritiker Kobeks moralische Gnadenlosigkeit mit Michel Houellebecq, seinen Gerechtigkeitssinn mit Thomas Piketty und seine feine Sprachkritik mit Ambrose Pierce. Im Grunde also wurde Kobek aus dem Nichts auf eine literarische Landkarte geworfen, auf der er, wie er in einem Interview sagte, das Meiste sowieso nicht ertragen könne.

Ohnehin kann Kobek an der Gegenwart, der digitalen zumal, sehr wenig ertragen. Er ist ein Autor, der Sätze schreibt wie: „Nichts verheißt mehr Individualität als 500 Millionen elektronische Geräte, die von Sklaven gebaut wurden. Willkommen in der Hölle.“ Mit kalter Wut wirft sich Kobek in seinem Roman dem kalifornischen Zeitgeist entgegen, den Erlösungslehren des Silicon Valley, der Vorstellung, die neuen digitalen Unternehmer seien die Heiligen einer neuen freien Welt. Kobek schreibt an gegen den allgemeinen Verblendungszusammenhang, den er in unserem Umgang mit Technologie vermutet.

Der türkisch-amerikanische Autor Jarret Kobek, 38, hat in der Technologiebranche gearbeitet, bevor er zu schreiben anfing.
Der türkisch-amerikanische Autor Jarret Kobek, 38, hat in der Technologiebranche gearbeitet, bevor er zu schreiben anfing. © privat

Sein Roman spielt in San Francisco, seine Protagonistin heißt Adeline, eine mehr oder weniger erfolglose Comiczeichnerin, die in einem aufgesetzten Akzent Englisch spricht und deren größtes Vergehen es war, im Internet etwas Dummes zu sagen. Seither wird sie auf Twitter und in anderen sozialen Netzwerken mit Hass verfolgt. Es geht im Buch auch um Adelines Freundschaft zu Jeremy, einem Afroamerikaner, ein ebenso erfolgloser Zeichner. Es geht um unmoralische Söhne von Scheichs und ehrgeizige Start-up-Unternehmer und um den Verfall der Stadt San Francisco, in der die Ärmeren von Tech-Arbeitern verdrängt werden. Die Stadt sei, schreibt Kobek, als hätte sie Alzheimer. Alles sei wie immer, nur etwas fehle.

Suada auf Speed

Wenn die typische Romanfigur der Neunziger nicht wusste, in welchem Turnschuh sie in die Geschichte treten sollte und ob das Leben so ist, wie man denkt, oder doch nur, wie es aussieht, so vereint Kobeks Figur Adeline alle modernen Leiden der digitalen Existenz in sich: sowohl den Drang zur Dauerperformance als auch die Zumutungen des ständig bewert- und kommentierbaren Lebens. Die satirische Romanhandlung dient Kobek nur als exemplarischer Rahmen, den er mit Reflexionen über den moralischen Zustand der digitalen Welt füllt und zwischen denen er mit der gleichen Hyperaktivität herumspringt, die er am normalen Internetnutzer feststellt.

Kobeks Begabung ist weniger die eines Romanciers als die eines gnadenlosen Beobachters, dessen Witz und Assoziationsgabe eine unterschwellige Verzweiflung kaum verstecken können. Das Buch ist eine Suada auf Speed, in der die humoristische Verachtung für die digitale Ökonomisierung aller Lebensbereiche mit großer Präzision und Wucht abgefeuert wird. In seiner rasenden Bewusstseinsschärfe erinnert das an Rainald Goetz.

Konstruktion weißer Privilegien

Wenn Kobek über die Größen des Silicon Valley schreibt, klingt das so: „Facebook made it’s money through an Internet web and mobile platform which advertised cellphones, feminine hygiene products and breakfast cereals (…) Facebook was invented by Mark Zuckerberg, who didn’t have much eumelanin in the basale stratum of his epidermis.“ Oder über Ayn Rand, die Schutzheilige aller libertären Kapitalisten: „Her endless novel Atlas Shrugged was about 800 pages long. The book was about money is awesome and rich people are awesome and everything is awesome except for poor people who are garbage who should die in the gutter.“

Diese ins Satirische gewendete lexikalische Sprache vieler Passagen ist nicht nur von entlarvender Genauigkeit, sondern parodiert auch den Erklärstil der Wikipedia. Ähnlich wird in repetitiver (und gelegentlich enervierender) Manier dem iPhone bei jeder Erwähnung hinzufügt: It changed everything.

An anderen Stellen stellt Kobek Listen auf, die eindeutig auf das Portal Buzzfeed verweisen, das er eine wundervolle Seite nennt, auf der man viel über die Konstruktion weißer Privilegien lernen könne.

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