„Kofelgschroa. Frei. Sein. Wollen“: Entschleunigung auf Bayerisch | ZEIT ONLINE.

Entschleunigung auf Bayerisch

Gegen das Schubladendenken: Der Film über die Oberammergauer Band Kofelgschroa ist genau so tiefgründig wie die Musiker selbst. Und anrührend zugleich. von Heike Littger

"Kofelgschroa. Frei. Sein. Wollen": Entschleunigung auf Bayerisch

Die Band Kofelgschroa im gleichnamigen Dokumentarfilm von Barbara Weber  |  © movienet

Die Band kurz vor ihrem Auftritt auf dem on3-Festival im Münchner Funkhaus. Eine Fernseh-Journalistin will wissen, welche Art von Musik sie denn spielen. Die Musiker von Kofelgschroa schauen sich fragend an. Erzählen zögernd etwas über Wiederholungen und Trance und Hypnose. Dass das aber eigentlich alles nur Begriffe seien, aus der Not heraus geboren, weil man sich immer irgendwie erklären müsse. Letztlich fangen die vier jungen Männer untereinander zu diskutieren an, ob sie denn nun politisch seien oder sozialkritisch oder einfach nur kritisch. Einer vom Fernsehteam verdreht die Augen, wendet sich ab. Was für schräge Vögel.

Dass nun ein Film über die bayerische Band Kofelgschroa in den Kinos anläuft, hat mit Zufall, Zuversicht und Hingabe zu tun. Die Regisseurin Barbara Weber drehte gerade in einer Münchner Wirtschaft, als plötzlich Maxi Pongratz, Matthias Meichelböck und die Brüder Martin und Michael von Mücke mit Horn, Tuba, Gitarre und Akkordeon hereinspazierten. Erst dachte auch sie: Schräg. Als sie anfingen zu spielen: charmant. Nach einem Gespräch mit ihnen: wunderbar. Webers Vater, ehemals zweiter Hornist im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, hatte einmal gesagt: „Ein richtig guter Musiker muss ein Musikant sein.“ Und genau das hörte und spürte die Regisseurin bei der Band: „Keine technische Brillanz, sondern eine Spielfreude, die einen packt und tief berührt.“

Sie blieb mit den Jungs in Kontakt, besuchte sie in deren Heimatort Oberammergau. Da kamen die Musiker gerade vom weltweit größten Blechbläserkonzert aus dem serbischen Guča zurück. Mit dem Fahrrad hatten die vier die gut 1.000 Kilometer zurückgelegt, um mit Musikern aus aller Welt auf den Trottoirs der Stadt zu spielen. Ihre zuweilen leise, melancholische Musik kam jedoch nicht gut an, sie wurden verscheucht, schliefen in Rohbauten, eines Morgens war ihre mühsam ersparte Videokamera weg.

„Jeder andere hätte sich vermutlich darüber geärgert“, sagt Weber. „Wäre traurig gewesen, frustriert. Die Jungs sagten nur: ‚Da haben wir nicht reingepasst‘ und ‚Die Kamera hat jetzt jemand anders.'“ Spontan schlug Weber damals vor: Lasst uns eine Doku drehen. „Ich musste das einfach einfangen“, sagt sie heute, „diese bayerisch-lakonische Art, einfach nur zu sein. Dinge zu nehmen, wie sie sind.“ Und dennoch vieles infrage zu stellen. Die Musiker fanden die Idee „saukomisch“. Ließen sich dann aber doch darauf ein. Meistens.

„Kofelgschroa“ war nicht Low Budget, sondern No Budget

Über sechs Jahre zogen sich die Dreharbeiten hin. In diesen sechs Jahren standen Weber und der Münchner Kameramann Johannes Kaltenhauser mehr als ein Mal am verabredeten Treffpunkt und warteten. Manchmal fragten sie sich, warum sie sich das antaten. Bis zum Schluss gab es keinen Sender, keinen Verleih, der den Film haben wollte. Kofelgschroa war nicht Low Budget, sondern No Budget. Alles wurde aus eigener Tasche finanziert. „Doch irgendwann haben wir begriffen“, sagt Weber, „dass es genau darum in der Geschichte geht.“

Nicht nur um die unkonventionelle Art der Oberammergauer. Um ihre musikalische Entwicklung von Straßenmusikanten, die das eingesammelte Geld sofort in der nächsten Wirtschaft versoffen, zu einer gefragten Band. Sondern auch um das zutiefst menschliche Bedürfnis, zögern, zweifeln und innehalten zu dürfen.

Marcus H. Rosenmüller: „Ich will immer dran erinnert werden, wer ich war“ | ZEIT ONLINE.

„Ich will immer dran erinnert werden, wer ich war“

In seiner Filmtrilogie „Beste Zeit, Beste Gegend, Beste Chance“ erzählt Marcus H. Rosenmüller von einer Jugend auf dem Dorf. Ein Gespräch über Kindheit in Bayern Ein Interview von 

Regisseur Marcus H. Rosenmüller

Regisseur Marcus H. Rosenmüller  |  © Armin Weigel/dpa

Frage: Herr Rosenmüller, Beste Zeit, Beste Gegend, Beste Chance – Ihre Trilogie erzählt von Kindheit und Jugend auf dem Dorf. Was hat Ihnen Ihre eigene Kindheit in Bayern gegeben?

Marcus H. Rosenmüller: Da war diese unendliche Freiheit. Wir waren ja die meiste Zeit draußen in der Natur. Unsere Eltern haben uns erst zum Abendessen wieder gesehen. Das ist für mich in Beste Zeit auch einer der wichtigsten Momente: wenn die beiden Mädchen aus der Diskothek zurücktrampen, zu Fuß durch den Wald gehen und in einem Maisfeld verschwinden. Als Kind und Jugendlicher hatte ich eine starke Sehnsucht nach diesem Verschwinden in der Natur. Die Metapher kehrt nun im Schlussbild wieder, wo die Menschen im Ganges baden. Sie tauchen in den Fluss des Lebens ein.

Frage: Was bedeutet Heimat für Sie?

Rosenmüller: Das ist eine wahnsinnig schwierige Frage. Heimat ist ein Ort, an dem man sich nicht fremd fühlt. Heimat hat immer mit Erinnerungen zu tun – sie stellen eine Vertrautheit her, können aber auch sehr erdrückend sein. Jeder Stein im Wald, an dem man schon als Kind gespielt hat, jede Böschung, die man schon heruntergesprungen ist, geben einem als Jugendlicher das Gefühl, nichts Neues mehr erleben zu können. Jeder im Dorf kennt einen. Man fühlt sich nackt und kann sich nicht verstecken.

Video: Kino - Beste Chance (Trailer)

„Beste Chance“ (Trailer) Video kommentieren

Frage: Ist Heimat nicht ein Auslaufmodell, weil viele heutzutage beruflich und privat so mobil sind?

Marcus H. Rosenmüller

1973 in Tegernsee geboren, landete 2006 einen Hit mit Wer früher stirbt, ist länger tot. Es folgten Beste Gegend und Beste Zeit (2007). Beste Chance beschließt nun die Trilogie über Jugend in der bayerischen Provinz.

Rosenmüller: Früher war Heimat noch klarer mit einer festen Ortschaft verbunden, einem Lebensgefühl. Dazu gehörten der Dialekt, der Humor, das Essen, bestimmte Gerüche; und die Familie und Freunde. Heute bleibt oft nur noch die Kernfamilie, alles andere wird immer wieder gekappt.

Frage: In Beste Chance geht es für Kati und Jo sowie deren Väter nach Indien. Der größte denkbare Kontrast zu Bayern?

In meinem Kurzprofil heißt es ja richtigerweise: im Süden gezeugt, im Westen geborn!!! Konkreter gesagt heißt das: in Bayern gezeugt, im Ruhrpott geborn!!! Mit anderen Worten: es schlagen zwei Herzen in meiner Seele: die bayerische (boarische) und die ausm Ruhrgebiet (ruhrpott)!!! Man kann sich das so vorstellen: Herbert Knebel (http://www.herbertknebel.de/) meets (trifft) Gerhard Polt (http://www.biermoesl-blosn.de/polt/ ). Oder genauer gesagt: Knebel: Hömma wie isett??? – Polt: Habedieehre, wos sogst??? – Knebel: Wattt??? Dazu würden eigentlich nur noch Dittsche ausm Norden und irgendein Ossi fehlen und fertig wäre die volle Lauge. Kurzum: man könnte mich einen Ruhrpottbayer oder boarischen Preiß nennen. Geht doch gar nicht, oder? A Weischwuarscht und ne Brattwurst!?!? A Ledahosn und —- was tragen eigentlich Ruhrpottler?

Ich liebe halt diese beiden Dialekte. Im ‚Trikont‘ – Verlag ist eine CD-Reihe ‚Stimmen Bayerns‘ veröffentlicht worden. Dazu folgende Ankündigung:

‚»Ich möcht mich mal richtig in der Sprache darenna.« Herbert Achternbusch

»Im Grunde besitze ich nur meinen Geburtsort und bin besessen von seiner Sprache.« Ross MacDonald

»Eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen.« Ludwig Wittgenstein

Wir wachsen auf und werden alt und ständig spricht jemand zu uns und wir sprechen mit anderen. Der Klang der Sprache vermittelt uns wie wenig sonst Vertrautheit, Beständigkeit und Stabilität.
Nachdem Sprache ja nicht nur im Privaten ihren Ausdruck findet, gibt es quasi noch ein Allgemeingut an Stimmen. Stimmen aus dem Radio die uns in Vergangenes zurück katapultieren, den Kommissar im Fernsehen, den Moderator unserer Lieblingssendung, den Kasperl auf der Kinder-Kassette von vor vielen Jahren, den Volksschauspieler mit seiner unverwechselbaren Klangfärbung, das rollende »R« der Nachrichtensprecherin aus einer Zeit in der es nur ein Fernsehprogramm gab, usw. usw.
Stimmen die fast jeder kennt, die das Zuhause aller sind und eine Verbindung herstellen zwischen uns und den anderen. Sie stehen für den Klang Bayerns. Sie sind ihr populärster Ausdruck.
Generationen sind mit diesen Stimmen groß geworden – sie beinhalten Klischees und Abgrund, Verschrobenheit und Sentimentalität.
Diese Stimmen und der Klang ihrer Sprache verkörpern gleichsam die »bayerische Übereinkunft«, sie sind das »Einheimisch Sein« jedes einzelnen. Dieses Gefühl an einem Ort Daheim, also »Einheimisch« zu sein, wird sicher unterschiedlich wahrgenommen – aber jeder der länger an einem Platz lebt, der seine Aufmerksamkeit und sein Interesse einer Gegend widmet wird wissen, was dieser Begriff bedeutet und was wir damit meinen.
Unsere »Stimmen Bayerns« können deshalb auch ohne Dialekt sprechen und trotzdem mit dem Lebensgefühl einer Gegend verbunden sein. Das Sprechen wird in dieser Sammlung nicht nur als Transportmittel von Inhalten benutzt, es geht um den Sound von Sprache und um die schiere Freude am Lebendig sein, (selbst wenn man dem Tod ins Auge sieht). Es geht um Rhythmus und Melodien des Denkens in denen gemeinsame und individuelle Erfahrungen zusammenfließen und plötzlich von allen erkannt und verstanden werden können.‘

Mittlerweile zum 90. Gerburtstag von Vattern am 3.11.2011 das Buch ‚Dinner for one auf bayerisch‘ gekauft. Jetzt gehts ’nur‘ um die Umsetzung dieser Idee des Aufführens. ‚Freili, ois ganz genauso wia ollawei!!!‘

Seit Jahren bin ich ja ein inniger Fan von ‚Herbert Knebels Affentheater‘!!! Absolut Kult für mich!!! Am 17.12.2011 werde ich mir in Unna das 12. Programm dieser Ruhrpotttruppe anschauen und -hören!!!