In welcher Art von Krise befinden wir uns?
Corona ist vorbei. Oder tobt gerade in China und verändert dabei die Weltwirtschaft. Millionen von Containern hängen auf den Weltmeeren fest. Produktionsketten, die uns jahrzehntelang zuverlässig Regale, Mägen und Müllkippen füllten, zerbröseln. Und nun ist auch noch Krieg, ein brutaler Eroberungskrieg – wie soll man das jemals lösen, ob mit oder ohne schwere Waffen?

Vor zwei Monaten sah es noch so aus, als ob Europa durch die Wahl in Frankreich in den Zerfall getrieben werden kann. Morgen kann KRISE schon wieder etwas anderes sein: Preisexplosionen, Inflation, Nahrungsengpässe, Verarmung, Bürgerkrieg in Amerika, Tornados in Mecklenburg-Vorpommern…
Ach ja, und dann ist da noch die Klimakrise.
Könnte es sein, dass wir nicht einfach nur in „einer Zeit vermehrter Krisen“ leben?
Sondern in EINER Krise mit verschiedenen Ausformungen?
In einer Krise des Übergangs? (…)

Corona hat das Hamsterrad des Lebens gebremst, trotzdem sind wir rastloser. Soziologe Hartmut Rosa sagt, warum die Krise die Jungen besonders trifft.

Quelle: Soziologe Hartmut Rosa im Gespräch: „Die Umwege fehlen jetzt“

Ist es auch für Sie neu, dass die Rastlosigkeit von innen kommt und nicht aus dem äußeren Hamsterrad des Lebens?

Das ist der Zwiespalt der Moderne: Der Beschleunigungsdruck kommt nicht einfach nur von außen und das Resonanzverlangen nicht nur von innen. Sofern der Kapitalismus am Hamsterrad schuld ist, ist er auch in uns. Theoretisch war mir das klar, aber ich habe es nie so deutlich erfahren wie jetzt. Aber es gibt einen anderen Aspekt, den ich früh thematisiert hatte: Es entsteht nicht nur Aggressivität, sondern eine Art von Lethargie und Erschöpfung. Ich habe gerade ein Seminar gemacht über die Frage: Wo kommt Energie her? Ich beziehe mich da stark auf den Soziologen Randall Collins. Wir haben immer geglaubt, Energie sei eine individuelle und psychische Eigenschaft.

Ist nicht so?

Inzwischen glaube ich: Die Energie, die wir haben und in soziale Interaktion umsetzen, kommt aus der dichten Interaktion selber. Auch aus der irritierenden Interaktion, wenn mich zum Beispiel jemand anrempelt.

Auch geistig?

Genau. Wir sehen jetzt, wie sehr wir das Irritierende, das Überraschende, die erfreuliche oder unerfreuliche soziale Interaktion brauchen, um aus unseren Routinen, auch den gedanklichen, herauskommen zu können. Dieser digitale Austausch, den wir jetzt machen, ist gut, um schnell Informationen auszutauschen. Aber Kultur, sagt Hans Blumenberg, entsteht durch das Gehen von Umwegen – und diese Umwege fehlen jetzt. Ich kann nicht schnell auf einen Kaffee irgendwo hin, ins Kino oder jemanden treffen. Es ist nicht nur so, dass viele Menschen unruhig sind und ihre Resonanzachsen nicht so gut funktionieren, wie sie dachten, sondern dass ihnen eigenartigerweise – ich habe dafür keine empirischen, aber ganz gute anekdotische Evidenzen – sogar der Impuls zu sozialen Kontakten fehlt, wo sie sie haben könnten. Aber dazu fehlt die Energie, und dieser Energieverlust kommt aus der fehlenden sozialen Interaktionsdichte.

Siehe auch folgendes Interview in der Talkshow „Precht“ vom 30.1.2022:

https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/precht-236.html