Folterbericht: Die Popkultur der CIA | ZEIT ONLINE.

Hat Hollywood die Folter salonfähig gemacht? Der gerade veröffentlichte Bericht des US-Senats liest sich wie das Drehbuch zu einer der vielen aktuellen Erfolgsserien. von Caspar Shaller

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Weil es so schön spannend ist: Folterszenen aus dem Film „Zero Dark Thirty“  |  © Screenshot: youtube/Universal Pictures

Ein blutender Mann kracht gegen eine Wand, gewaltsam wird ihm Wasser in Nase und Hals geschüttet, bevor er in einen Schrank gesperrt wird, in dem kaum ein Fernseher Platz fände. Der Mann verliert die Kontrolle über seine Körperfunktionen. Diese Szenen stehen im gerade erschienenen, 500-seitigen Bericht des amerikanischen Senats über das Folterprogramm der CIA. Und diese Szenen spielen sich in Kathryn Bigelows Hollywoodfilm Zero Dark Thirty ab. Da holt die Unterhaltungskultur die Realität ein – doch manchmal passiert es auch umgekehrt.

„Immer noch wütend auf die Erfinder von 24, die Folter jede Woche normalisierten“, postete deshalb Emily Nussbaum, die Fernsehkritikerin des New Yorker, nach der Veröffentlichung des Berichts auf Twitter. Sollen profane Fernsehserien wie 24 etwa für die Folterexzesse der CIA mitverantwortlich sein? Wie kaum eine andere Kultur besitzt die amerikanische die Fähigkeit, sich durch Produkte der Unterhaltungskultur wie Filme oder Fernsehserien zu reflektieren. Das cultural imaginary, die kulturelle Vorstellungskraft, definiert den Bereich des Möglichen, zeigt, wie Dinge sein könnten, und legt moralische Standards fest.

2005 meinten 38 Prozent der befragten Amerikaner in einer Umfrage der Associated Press, Folter sei unter gewissen Umständen legitim – 2013 glaubten das schon über 50 Prozent. In der Zwischenzeit war nicht nur der Skandal um die Misshandlung von Insassen des Gefängnisses Abu Ghraib bekannt geworden, die Darstellung von Folter wurde auch in der amerikanischen Popkultur immer alltäglicher. Vor allem in der Spionageserie 24. Sie erzählt in Echtzeit acht Tage im Leben des Geheimagenten Jack Bauer, gespielt von Kiefer Sutherland. Er rettet Manhattan, den Präsidenten und die USA vor eingeschleusten Terroristen und korrupten Politikern. Folter wird dabei plump als spannungssteigerndes Element eingesetzt. Gewalt, so impliziert die Serie, ist ein probates Mittel, gerade unter Zeitdruck – und der ist immer gegeben, wenn feindliche Unterwanderung droht und man von einer konstanten Gefahr ausgeht.

Aber liefern solche Serien die Drehbücher für das Folterprogramm der CIA? Jedenfalls zeigen Zuschauer von Spionagethrillern eine weitaus größere Zustimmung zu mittlerweile geläufigen geheimdienstlichen Praktiken als Menschen, die solche Filme und Serien nicht sehen. Das belegt eine Studie der Stanford-Professorin Amy Zegart. Sie kommt zum Schluss: Die Popkultur beeinträchtigt die Einstellung der Zuschauer erheblich. Das ist es, was Emily Nussbaum meint, wenn sie 24 eine Mitschuld an den unkontrollierten Auswüchsen der CIA-Praktiken gibt.

Die CIA scheint das zu wissen. Sie bedient sich selbst der Popkultur, um ihre Positionen wirkungsvoll zu verbreiten. Den Machern von Zero Dark Thirty verschaffte man Zugang zu ausgesuchten Dokumenten und gestattete ihnen, Interviews mit Agenten zu führen, um die Geschichte der gezielten Tötung Osama bin Ladens zu rekonstruieren. Der offiziellen Geschichte der CIA folgend, wird im Film gezeigt, wie erfolgreich enhanced interrogation techniques, sogenannte erweiterte Verhörmethoden, gegen Inhaftierte verwendet werden. Die Szenen sind brutal und schwer zu ertragen, doch das moralische Dilemma wird gelöst durch einen harten Schnitt auf Aufnahmen vom 11. September 2001, also den Verweis auf das höhere Ziel der blutigen Folter – den Schutz der USA. Das Magazin Rolling Stone schrieb, man könne Zero Dark Thirty nicht sehen, ohne zu dem Schluss zu kommen, Gefangene zu foltern habe dazu beigetragen, Bin Laden dingfest zu machen. Im Sinne der CIA: Folter ist unschön, aber notwendig.

Diese Darstellung ist falsch. Das hätte Kathryn Bigelow bereits bei der Recherche zu ihrem Film Zero Dark Thirty wissen können, wäre sie unabhängig geblieben. Der Senatsbericht zeigt jetzt, dass unter Folter Falschaussagen gemacht wurden, dass Unschuldige und gar Informanten der CIA gequält wurden. Der Kurier, der den Weg zu Osama bin Laden wies, wurde nicht durch erpresste Informationen gefunden, sondern mit konventionelleren Methoden aufgespürt. Dennoch gibt sich der Film den Anschein eines historischen Dokuments und behauptet von sich, er basiere auf Zeugenberichten. Zur Steigerung seiner Glaubwürdigkeit ertönen zu Beginn echte Telefonmitschnitte vom 11. September. Die Tötung Bin Ladens und der Erfolg von Zero Dark Thirty führten wieder zu einem sprunghaften Anstieg der Zustimmung zur Folter bei den Amerikanern – auf vorübergehend über 60 Prozent.

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TV-Serie „True Detective“: Mord als Meditation | ZEIT ONLINE.

Mord als Meditation

Zwei Cops, Evangelikale und ein Ritualmord in Louisiana: Die HBO-Serie „True Detective“ ist eine großartige Erzählung mit Mut zur Langsamkeit. von 

Wenn eine Krimi-Serie ohne Polizei-Sirenen auskommt, muss es sich um etwas Besonderes handeln. Bis in True Detective das typische Heulen zu hören ist, dauert es fast drei Stunden. Erst dann haben die beiden Polizisten Martin Hart (Woody Harrelson) und Rust Cohle (Matthew McConaughey) die erste wirkliche Spur, die sie zum Hauptverdächtigen eines Ritualmords führen soll. Bis dahin gibt es weder Cliffhanger noch bemühte Spannungsbögen. Die neue HBO-Serie, die ab 13. Januar auf Sky Go läuft, ist eine große Erzählung, die das Krimi-Genre auf eine neue Ebene hebt.

Die Grundkoordinaten wirken zunächst bekannt: Zwei ungleiche Cops, die Sümpfe von Louisiana und ein mysteriöser Ritualmord an einer jungen Prostituierten. Doch True Detective geht eine Ebene tiefer und siedelt seine Geschichte auf zwei unterschiedlichen Erzählebenen an.

Die erste spielt im Jahr 1995. Hart und Cohle sind seit drei Monaten Partner bei der Kriminalbehörde des Bundesstaates. Der Familienvater Hart ist der Prototyp des Südstaatencop, Christ natürlich, „wie jeder hier im Umkreis von 1.000 Meilen“. Cohle ist ein alkoholabhängiger Misanthrop. Hart vertraut seinen Instinkten, Cohle den Kriminalistikbüchern, die sich in seinem unmöblierten Apartment stapeln.

Die beiden ermitteln im Fall von Dora Lange, einer minderjährigen Prostituierten, die unter Drogen gesetzt und ermordet worden ist. Doch ihr Mörder hat sie nicht einfach in der Einöde liegen lassen, er hat aus ihrem Tod eine Inszenierung gemacht. Vor einem der alten Bäume hat er sie in Gebetshaltung angebunden, ihr eine Dornenkrone und das Geweih eines Hirschs aufgesetzt.

Die zweite Ebene spielt 17 Jahre später. Hart und Cohle sitzen nun plötzlich selbst in zwei separaten Befragungen und sollen einem anderen Polizisten-Duo erklären, wie sie damals den Fall gelöst haben – und warum sie sich einige Zeit später getrennt haben. Anscheinend hat es einen neuen, ganz ähnlichen Mord gegeben. Was genau vorgefallen ist, erfährt der Zuschauer jedoch nicht.

Je länger die Geschichte andauert und je mehr Details 17 Jahre später über das Leben von Hart und Cohle bekannt werden – desto deutlicher wird, was hier der eigentliche Fall ist. Wer sind diese beiden Cops wirklich? Und was hat ihr Leben so verändert?

Das Besondere an True Detective  ist jedoch weniger die Geschichte als das ungewöhnlich langsame Tempo. Serien wie The Wire haben sich zwar schon vorher viel Zeit gelassen, um eine raumgreifende Story zu entwickeln. True Detective ähnelt jedoch fast schon einer Meditation. In den besten Szenen sitzen die beiden Cops schweigend in ihrem Auto, endlos unterwegs auf ihren Ermittlungen, die lange Zeit vollkommen ins Leere zu laufen scheinen.

Dass dies funktioniert, liegt an der grandiosen Schauspielleistung der beiden Hauptdarsteller Harrelson und McConaughey. Beide stammen aus dem Süden der USA. Beiden ist anzumerken, dass sie die Charaktere dieser Gegend genau kennen. Sie müssen nicht viel reden, um ihren Figuren Tiefe zu verleihen.

Viele Fernsehserien leiden häufig an zwei Schwachstellen: Erstens ist fast immer unklar, auf wie lange die Serie konzipiert ist. Das führt schnell dazu, dass sich so manche Geschichte über die Jahre etwas wirr entwickelt. Zweitens kommt es quasi nie vor, dass ein Autor und ein Regisseur zu zweit die Möglichkeit bekommen, eine ganze Staffel alleine zu bestreiten. Meist sind nur Schauspieler und Setting die Konstante, die Film-Crews hingegen wechseln ständig.

Beides ist bei True Detective anders. HBO hat die gesamte Staffel von Nic Pizzolatto schreiben und von Cary Fukunaga filmen lassen. Autor und Regisseur hatten nicht nur die Möglichkeit, eine in sich geschlossene Erzählung auszuarbeiten, die auf exakt acht Stunden ausgelegt ist. Sie hatten ebenso die Chance, ihren eigenen Ton zu setzen. Nach acht Folgen der ersten Staffel wird der Mordfall Lange aufgeklärt sein. Die Geschichte von Russ Cohle und Martin Hart findet dann ihr Ende.

Nicht jeder Plot braucht acht Stunden. Und zwei so exzellente Schauspieler für eine Serie zu gewinnen, ist ein Glücksfall. Wenn das Fernsehen gegenüber dem Film jedoch eine große Stärke hat, dann ist es der Faktor Zeit. True Detective könnte eine neue Vorlage zu einer Art Autoren-Serie werden. Denn manche Geschichten verdienen es, so ausführlich erzählt zu werden.