NSA : Der Brief an die Kanzlerin | ZEIT ONLINE.

Der Brief an die Kanzlerin

Im Juli 2013 erhielt Angela Merkel einen offenen Brief, den die Schriftstellerin Juli Zeh gemeinsam mit über 30 Autoren verfasst hatte. Dieser Brief wurde von 67.407 Menschen unterschrieben. Sie forderten die Kanzlerin darin auf, den „größten Abhörskandal in der Geschichte der Bundesrepublik“ nicht hinzunehmen. Eine Antwort hat Juli Zeh bis heute nicht bekommen. Weder auf ihren Brief noch auf den Aufruf gegen die Massenüberwachung durch die NSA, den über tausend Autoren aus aller Welt unterzeichnet haben. Nun schickt Juli Zeh der Kanzlerin eine Mahnung und fragt: „Warum schweigen Sie, Frau Merkel?“ von Juli Zeh

Juli Zeh

Die Schriftstellerin Juli Zeh   |  © dpa

Letztes Jahr habe ich Ihnen schon einmal geschrieben. Mein Brief reagierte auf die Enthüllungen Edward Snowdens und stellte die Frage, wie Ihre Strategie für ein digitales Zeitalter aussehe, in dem die Freiheitsrechte der Bürger mit Füßen getreten und Grundprinzipien der Demokratie auf den Kopf gestellt werden. Gefolgt wurde dieser Brief von einem internationalen Appell, der von rund tausend Schriftstellern aus über achtzig Ländern unterzeichnet wurde und einen Schutz der persönlichen Freiheit im Kommunikationszeitalter fordert.

Seitdem sind Monate vergangen, und ich habe von Ihnen keine ernst zu nehmende Antwort vernommen. Wir erleben einen Epochenwandel, der aufgrund seiner politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Implikationen mit der industriellen Revolution verglichen werden kann. Ihr Schweigen dazu, Frau Merkel, ist das Schweigen der mächtigsten Frau Europas. Es schrillt in den Ohren wie das Geräusch von Fingernägeln auf einer Schiefertafel.

Kann es wirklich sein, dass Sie die Tragweite des Problems nicht erfassen? Es geht nicht nur um Ihr Handy. Es geht nicht einmal „nur“ um die Aktivitäten der NSA, auch nicht „nur“ um das Verhältnis Deutschlands zu Amerika oder darum, ob Snowden im Untersuchungsausschuss gehört werden soll oder nicht. Wir haben es mit Technologien zu tun, die unsere Lebensrealität bis in den tiefsten Kern des humanistischen Menschenbilds verändern. Es geht also um die Frage, wie wir in Deutschland und Europa in den nächsten fünfzig Jahren leben wollen.

Was NSA und Internetkonzerne wie Google oder Facebook betreiben, ist kein Datensammeln aus Spaß an der Freud. Auch hat es wenig mit dem zu tun, was Sie oder ich unter nationaler Sicherheit verstehen. Ziel des Spiels ist das Erreichen von Vorhersehbarkeit und damit Steuerbarkeit von menschlichem Verhalten im Ganzen. Das funktioniert heute schon erschreckend gut. Wer genügend Informationen über die Lebensführung eines Einzelnen miteinander verbindet und auswertet, kann mit erstaunlicher Trefferquote voraussehen, was die betreffende Person als Nächstes tun wird – ein Haus bauen, ein Kind zeugen, den Job wechseln, eine Reise machen. Bald wird das „Internet der Dinge“ seine volle Wirkung entfalten. Dann wird Ihr Kühlschrank aufzeichnen, was Sie essen, und Ihr Auto, wohin Sie fahren. Ihre Armbanduhr wird Blutdruck, Kalorienverbrauch und Schlafphasen auswerten. Rauchmelder und Alarmanlage in Ihrem Haus werden sich merken, wann Sie wie viel Zeit in welchen Räumen verbringen. Welche Bücher Sie kaufen, mit wem Sie mailen oder telefonieren, für welche Filme, Musik oder politischen Themen Sie sich interessieren, ist ja sowieso schon lange bekannt.

Das ist keine Science-Fiction, Frau Merkel. Das ist die Wirklichkeit. Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Ergebnisse von Datenauswertung über das Schicksal des Einzelnen entscheiden können – ob er einen Kredit bekommt, ob er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, ob er ein Flugzeug besteigen darf, vielleicht eines Tages auch darüber, ob er ins Gefängnis muss. Sämtliche Behauptungen, dass eine Verarbeitung der ungeheuren Datenmengen technisch gar nicht möglich sei oder dass sich in Wahrheit niemand für unsere langweiligen Leben interessiere, sind seit Snowdens Enthüllungen obsolet. Das totale Tracking ist möglich, es wird bereits praktiziert. Mit jeder neuen technischen Erfindung von Google Glass über Fitnessarmbänder bis zum selbstfahrenden Auto verschärft sich die Situation. Internetkonzerne sammeln Informationen und gelangen dabei zu ungeheurer Machtfülle. Geheimdienste greifen diese Informationen nach Belieben ab und nutzen sie für ihre Zwecke.

Juli Zeh im Interview: „Ein beobachteter Mensch ist nicht frei“ | Kultur – Frankfurter Rundschau.

Juli Zeh im Interview„Ein beobachteter Mensch ist nicht frei“

 

Thomas-Mann-Preisträgerin Juli Zeh. Foto: dpa

Die Schriftstellerin Juli Zeh, ausgezeichnet mit dem Thomas-Mann-Preis, über die NSA-Affäre, Facebook und die drohende Herrschaft der Algorithmen.

Frau Zeh, in Ihrem offenen Brief an Kanzlerin Merkel schreiben Sie, dass Deutschland zum Überwachungsstaat geworden ist, wir einen historischen Angriff auf unseren Rechtsstaat erleben. Wieso scheint das kaum einen zu interessieren?

Es gibt eine große Verunsicherung darüber, was genau passiert, und ein diffuses Gefühl, dass man eh nichts dagegen unternehmen kann. Das ist ja auch genau das, was die Bundesregierung uns signalisiert. Ich glaube, es wird Jahrzehnte dauern, bis das Ausmaß der Veränderungen ins Bewusstsein der Leute wirklich einsickert. Das hat man auch bei anderen großen gesellschaftlichen, quasi revolutionären Veränderungen gesehen, dem Umweltschutz oder dem Kampf für Frauenrechte.

Könnte es nicht auch sein, dass sich viele gar nicht betroffen fühlen? Es wird ja gern gesagt: Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.

Ich glaube nicht, dass die Leute das wirklich denken. Das sagen sie, damit man sie mit dem Problem in Ruhe lässt. Wenn man jemanden sagt: Gib mir mal deine Festplatte und lass mich kurz deine E-Mails durchlesen, dann bekommt doch jeder ein mulmiges Gefühl. Die meisten möchten doch nicht einmal, dass die Partnerin oder der Partner die eigenen Mails liest, weil wir nämlich wohl etwas zu verbergen haben. Nicht ein Verbrechen, sondern einfach nur das, was man Privatsphäre nennt. Ein intimer Raum, der uns immer latent peinlich ist und den wir schützen. Ich denke, wer nichts zu verbergen hat, der hat bereits alles verloren.

Wie meinen Sie das?

Die Fähigkeit, Geheimnisse zu haben, oder anders gesagt: das Bewusstsein dafür, dass es eine Intimzone gibt, ist eigentlich das, was den Menschen wirklich ausmacht. Es ist etwas, das zu unserem Wesensgehalt gehört, zu unserer Würde. Ein Gefühl von Scham, ein Gefühl von Peinlichkeit, ein Gefühl, nicht angeschaut werden zu wollen, das schützt unsere Identität. Wenn wir das aufgeben und sagen, ihr dürft mich alle nackt anschauen, fotografieren und meine Briefe lesen, dann gibt man seine Persönlichkeit auf, seinen Stolz, seine Würde und auch seine Identität. Man kann irgendwann nicht mehr „Ich“ sagen. Ohne Geheimnisse gibt es kein Ich. Man verliert dann im Grunde sich selbst. (…)

 

Juli Zehs Poetikvorlesung: Vom Nur-So zum Roman – Autoren – FAZ.

08.07.2013 ·  Juli Zeh verteidigt in ihrer Frankfurter Poetikvorlesung Literatur als einen Rückzugsraum der Anarchie, eingefangen zwischen zwei Buchdeckeln. Und beschreibt damit zugleich ihre eigenes Verfahren.

© Fricke, Helmut Animierend: Juli Zeh

Am Ende der dritten Vorlesung war Juli Zeh bei ihren Kritikern angelangt. Versammele sie alle Stimmen, die seit je versicherten, die Autorin Zeh tauge nichts, dann klinge das in etwa so: „Zuerst das Gute: Der neue Roman von Juli Zeh ist weniger lang als seine Vorgänger.“ Die Konstruktion der Rahmenerzählung aber sei ebenso bemüht wie die Sprachfähigkeit der Autorin begrenzt. Juli Zeh sei eine „Schwallmadame“, „Quatschnudel“, „Dauerpowerfrau“, und „apokalyptisch altkluge Angeberin“. Glücklicherweise wolle sie sich nun ihrer juristischen Doktorarbeit zuwenden. „Da kann sie weiter Thesenklappriges aufeinanderstapeln. Und das Beste: Lesen muss es nur einer.“

Das, sagte Juli Zeh anschließend, stamme nicht von ihr, sondern sei eine kleine Zitatencollage aus Rezensionen ihrer Bücher der letzten Jahre. Ihre Frankfurter Poetikvorlesung kam damit der Literaturdefinition der Romantiker relativ nah: dass ein Werk nämlich immer auch seine Kritik enthalten solle. Das galt auch jenseits ironischer Anklänge. Denn Zehs Poetikvorlesung, einige Tage vor Beginn bereits unter dem Titel „Treideln“ im Schöffling Verlag erschienen, war mit nahezu jedem Satz eine Wiederbelebung romantischen Literaturverständnisses. Wenn sie schreibe, hatte Zeh in der zweiten Vorlesung erklärt, dann in Form des „Nur-So“: „Das Nur-So ist eine Textart, die jederzeit gelöscht werden kann. Sie dient keinem Leser, sondern ausschließlich dem Autor. Das Nur-So besteht aus Textfetzen, Szenen, Kurzdialogen, einzelnen Sätzen oder auch kleinen, in sich geschlossenen Episoden. Ein Nur-So kann zu beträchtlicher Länge anwachsen.“ Etwa so seien fast alle ihre Romane entstanden. (…)

 

The conversation: Can Europe survive the current crisis? | Comment is free | The Guardian.

Can Europe survive the crisis?

Greek film-maker Constantine Giannaris and German novelist Juli Zeh compare their two nations‘ vastly different perspectives on the eurozone crisis

Constantine Giannaris and Juli Zeh

 

Juli Zeh (left) and Constantine Giannaris compare German and Greek perspectives on the eurozone crisis. Photograph: David Finck; Panagiotis Moschandreou for the Guardian

As elections across Europe this week threaten to deepen the Eurozone crisis still further, Athens-based filmmaker Constantine Giannaris shares his experience of austerity with German novelist Juli Zeh. Oliver Laughland listens as both lament the potential decline of the European project.

Precht – ZDF.de.

Im Mittelpunkt dieser Sendung, mit der Schriftstellerin Juli Zeh als Gast, steht der Mensch mit seinem Wunsch nach Perfektion. Noch nie in der Geschichte haben sich Menschen so sehr mit sich und ihrem Körper beschäftigt wie heute. Wir optimieren unser äußerliches Erscheinungsbild, unsere Gesundheit und demnächst vielleicht sogar unsere Gene.

Wir wollen perfekt sein, absolut vollkommen. Die Vollkommenheit und Fitness unseres Körpers ist zum Marketing-Instrument geworden. Nicht nur im Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt sondern auch im ganz privaten Leben. Eine neue Schere öffnet sich. Die Wohlhabenden können sich die Gesundheits-Konditionierung leisten, die Ärmeren nicht.