„Wenn du überwacht wirst, bist du politisch kastriert“

Warum protestieren die Menschen nicht in Scharen gegen die massive Überwachung? Warum sollten sie? Autor Daniel Suarez und andere Intellektuelle suchen nach Antworten.

We are data

„We are data“ des Games-Publishers Ubisoft ist eine Website, die öffentlich gemachte Daten über Paris, London und Berlin zusammenstellt.   |  © Ubisoft

Von Daniel Suarez, Schriftsteller

Dieses allumfassende Spionagesystem ist auf hinterlistige Art genial. Denn wir haben selbst darin investiert. Wir haben Zeit und Geld, ja sogar Liebe in unsere schicken Abhörwanzen – unsere Smartphones – gesteckt, in unsere Apps und in unsere sozialen Netzwerke. Aber wir bezahlen noch einen weiteren heftigen, unsichtbaren Preis – die massive Überwachung.

Menschen hassen es, auf handfeste Vorteile zu verzichten, nur um eine unsichtbare Schandtat zu stoppen. Besonders deutlich wird das immer dann, wenn wir irgendwelchen Nutzungsbedingungen von Apps zustimmen, die Zugriff auf unser Adressbuch, unsere Anrufliste oder unseren Standort haben wollen – nur damit wir aktuelle Restaurant-Bewertungen oder so etwas bekommen.

Wir scheinen täglich einen solchen Pakt mit dem Teufel einzugehen. Für manche ist die Überwachung durch Geheimdienste wohl nur eine weitere skandalöse Lizenzvereinbarung, und sie sind darauf konditioniert, ihr zuzustimmen.

Zudem versagen die meisten Mainstream-Medien dabei dabei, dem Durchschnittsbürger zu erklären, warum das Thema wichtig ist. Kein Wunder, Apps und das mobile Internet sind für die Medienkonglomerate ja selbst wertvolle Einnahmequellen, weil sie dort Werbung verbreiten und Nutzerdaten erheben können.

Daniel Suarez
Daniel Suarez

Daniel Suarez, Jahrgang 1964, arbeitete zunächst als Softwareentwickler und Systemberater. 2006 erschien sein Science-Fiction-ThrillerDaemon. Darin entwirft er das Bild einer Gesellschaft, die zunehmend von Computern entmündigt wird. Im vergangenen Jahr erschien die Fortsetzung Darknet  im Rowohlt Verlag – und im April 2013 erschien Kill Decision, ein Thriller über autonome Drohnen und Cyberwar.

Deshalb dreht sich die Debatte immer nur um lächerliche Argumente wie „Wenn du nichts zu verbergen hast, sollte dir die allgegenwärtige Überwachung keine Sorgen bereiten.“

Dabei gibt es keine unabhängigen Beweise dafür, dass dieses System wirklich hilft, Terroristen zu finden. Aber es ist unglaublich nützlich, um die Kritiker von Regierung und Big Business zu identifizieren und zu diskreditieren. Deshalb untergräbt permanente Überwachung den politischen Aktivismus – und damit das Herz der Demokratie.

Irgendwann wird die Öffentlichkeit erkennen, dass all diese von Unternehmen und Regierungen gesammelten Daten einen saftigen Preis haben – den Verlust politischer Macht. Es gibt einen Grund, warum diese Daten für Wirtschaft und Politik wertvoll sind: Information ist Macht. Und wenn jemand anderes deine Daten hat, du aber keine von ihm, dann hast du gerade einen großen Teil deiner politischen Macht geopfert.

Es stimmt ja, ein Großteil der Daten wird für kommerzielle Zwecke genutzt, zum Beispiel, um Werbung zielgerichtet auszuspielen. Aber diese Daten sind Dual-Use-Güter. Sie können ebenso gut verwendet werden, um das Zentrum einer sozialen Bewegung im Netz zu identifizieren, die eine Kampagne gegen Korruption bei den Mächtigen anführt.

Wenn du überwacht wirst, bist du politisch kastriert.

Von Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation

Die amerikanischen Behörden erfassen und speichern Milliarden von Metadaten über die elektronische Kommunikation von Menschen in aller Welt. Das erinnert Datenschützer an Big Brother – an einen Staat, der die Menschen umfassend überwacht und ihnen damit die Privatsphäre raubt. Vor fast 30 Jahren übten sich in Deutschland für weitaus weniger Daten Hunderttausende Menschen in zivilem Ungehorsam, brachten die Volkszählung vor das Bundesverfassungsgericht, das wiederum das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Grundrecht erklärte. Der Protest gegen Prism hingegen hält sich (noch) in Grenzen.

Viktor Mayer-Schönberger
Viktor Mayer-Schönberger

Mayer-Schönberger studierte Jura in Salzburg, Cambridge und Harvard. Während seines Studiums gründete er eine Firma für Datensicherheit und Antivirussoftware, blieb letztlich aber in der Wissenschaft, unter anderem an der John F. Kennedy School of Government in Harvard und als Director of the Information Policy Research Center an der National University in Singapur. Derzeit ist er am Oxford Internet Institute Professor für Internet Governance and Regulation. Er hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt Big Data – A Revolution That Will Transform How We Live, Work, and Think, das im Oktober auf Deutsch erschienen ist.

Manche haben wohl einfach ihren Kampf aufgegeben, im Angesicht der immer gigantischeren Sammlungen persönlicher Daten, die Unternehmen und Behörden vorrätig halten. Der jungen Generation wird unterstellt, sie schere sich spätestens seit Gmail und Facebook ohnehin nicht mehr um den Datenschutz, sondern konsumiere lieber unentgeltliche Internet-Dienste im Austausch gegen persönliche Daten. Vielleicht passt aber schlicht die Metapher vom Überwachungsstaat nicht mehr auf Big Data, vielleicht hat sich das Bedrohungsszenario gewandelt.

Big Data ist die Fähigkeit, unzählige Einzelinformationen nicht bloß zusammenzufügen, sondern zur Vorhersage menschlichen Verhaltens zu verwenden, das gar nicht offenkundig mit den Einzelinformationen in einem Zusammenhang steht.

Mit Big Data lassen sich diese Korrelationen erkennen: aus kleinsten Veränderungen des Einkaufsverhaltens erkennt etwa die Firma Target in den USA mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass eine Kundin schwanger ist (sogar der Geburtstermin lässt sich relativ genau vorhersagen). Ein amerikanischer Finanzinformationsdienstleister ermittelt aus vordergründig völlig banalen soziodemografischen Daten die Wahrscheinlichkeit, wie verlässlich jemand seine Medikamente einnimmt. Lediglich aus dem Freundeskreis auf Facebook lässt sich vorhersagen, ob jemand wahrscheinlich homosexuell ist, oder ein Scheidungskind. 30 Bundesstaaten in den USA nutzen empirische Datenanalyse um vorherzusagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Häftling, der einen Antrag auf vorzeitige Entlassung stellt, in den nächsten zwölf Monaten wieder in eine Schießerei verwickelt wird.

Immer geht es um das Gleiche: aus riesigen Mengen scheinbar uninteressanter Daten lassen sich immer genauere Vorhersagen über andere, sehr sensible Bereiche unseres Seins treffen – insbesondere wie Menschen sich verhalten werden. Die Richtung ist klar. Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren.

Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht. Im Schatten von Prism ist nichts Geringeres in Gefahr als der freie Wille – die essenzielle Freiheit des Menschen auch in der Zukunft über sein Handeln selbst zu bestimmen. Das muss uns klar werden! Wenn die Menschen verstehen, was durch Prism auf dem Spiel steht – die menschliche Freiheit zu handeln – werden sie diese zentrale Grundfreiheit verteidigen. Das jedenfalls hoffe ich.

Von Byung-Chul Han, Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft

Die digitale Vernetzung verwandelt die Welt selbst in ein digitales Panoptikum. Das Eigentümliche dieses Panoptikums besteht darin, dass jeder jeden beobachtet und überwacht. Nicht nur Geheimdienste sind mit dem Ausspähen beschäftigt. Unternehmen wie Facebook oder Google arbeiten selbst wie Geheimdienste. Sie spionieren letzten Endes unser Leben aus, um aus den ausgespähten Informationen Kapital zu schlagen.

Google und Facebook, die sich als Räume der Freiheit präsentieren, sind gleichzeitig digitale Panoptiken. Facebook betreibt eine Ausleuchtung und Ausbeutung des Sozialen. Firmen überwachen ihre Angestellten. Banken durchleuchten potenzielle Kreditkunden. Der entscheidende Punkt ist aber: Heute verhalten wir uns alle selbst wie ein Geheimdienstler. Wir googlen uns gegenseitig oder kommen in Versuchung, bestimmte Personen auszuspähen.

Byung-Chul Han

geboren in Seoul, ist Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Im September erscheint von Byung-Chul Han bei Matthes und Seitz Im Schwarm. Ansichten des Digitalen.

Die Überwachungssoftware „Riot“ des US-Rüstungskonzerns Raytheon, auch „Google für Spione“ genannt, erstellt sowohl Bewegungsprofile als auch Prognosen für das zukünftige Verhalten der Zielpersonen, indem sie unter anderem für jeden zugängliche Daten aus sozialen Netzwerken auswertet. Mit ein paar Klicks wird das ganze private Umfeld der Zielperson auf dem Bildschirm ausgebreitet.

Es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen einer Person, die jemanden googelt und beobachtet, und einem Geheimdienst, der die Welt überwacht. Jeder von uns übt heute eine Tätigkeit aus, die ursprünglich die Tätigkeit eines Geheimdienstlers wäre.

Überwachung und Ausspionieren sind ein inhärenter Teil der digitalen Technik. Sie sind ein allgemeiner Habitus in der Welt, die ein digitales Panoptikum geworden ist. Jeder ist Big Brother und Insasse zugleich. Jeder ist Täter und Opfer zugleicht.

Es gibt keine reinen Opfer mehr, die gegen Täter vorgehen könnten. Wir protestieren nicht gegen Geheimdienste, weil wir selbst alle ein Geheimdienst sind. Der Übergang von der Transparenz- und Informationsgesellschaft zur Kontroll- und Überwachungsgesellschaft ist ein konsequenter Schritt, er folgt der Logik des digitalen Mediums. Die Freiheit, die uns die digitale Kommunikation versprach, schlägt in Kontrolle um. Darin besteht die Dialektik der Freiheit. Die Überwachung ist in der Welt als digitalem Panoptikum ein Normal- und kein Ausnahmezustand.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert