Wolf Haas: Warum lieben wir Krimis? | ZEIT ONLINE.

Warum lieben wir Krimis?

Keiner erzählt kunstvoller vom Bösen als der Bestseller-Autor Wolf Haas. Wie man Leser süchtig macht, erklärt er in einem Gespräch. Interview:  und

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Der Schriftsteller Wolf Haas  |  © dpa

Es ist erstaunlich: Inmitten von Kriegen und Krisen erlebt Deutschland die friedlichste Phase seiner Geschichte, aber in den Buchläden und Fernsehprogrammen herrscht ein großes Morden. Der Krimi-Boom hat absurde Ausmaße angenommen. In Deutschland sehen sonntags bis zu zwölf Millionen Menschen den Tatort, jede Stadt, die auf sich hält, will ihren eigenen Fernsehkommissar, jedes Mittelgebirge hat seine spezielle Regionalkrimi-Reihe. Warum ist das so? Wir wollen über Krimis reden – und zwar mit dem wohl besten deutschsprachigen Autor, den es auf diesem Gebiet gibt: Wolf Haas. Der Österreicher hat das Genre in den vergangenen Jahren klug durchschaut, hinterlistig persifliert und lustig erneuert.

Haas ist, auch wenn man es nicht gleich merkt, ein großer Dichter, es lieben ihn das Feuilleton wie das Massenpublikum. Seine acht Kriminalromane um den Privatdetektiv Simon Brenner bestehen scheinbar aus bizarren Abschweifungen und Lebensweisheiten, die ein schwatzhafter Erzähler den Leserinnen und Lesern im Ton äußerster Vertraulichkeit zusteckt. Wer ein paar Seiten von Haas gelesen hat, begreift, dass da ein Menschenfreund und Humorist am Werk ist. Die Gemeinde seiner Leser wächst stetig, seine Sprache kann süchtig machen, auch die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek bekennt sich zu dieser Sucht. Drei Brenner-Romane sind bisher verfilmt worden, stets mit dem Schauspieler und Kabarettisten Josef Hader in der Rolle des Simon Brenner. Die vierte Verfilmung, Das ewige Leben, kommt in dieser Woche in die Kinos.

Wir treffen uns mit Wolf Haas in Wien. Als Begegnungsort schlug er das Gasthaus Wild am Radetzkyplatz vor. Haas hat einen Tisch im hintersten Winkel des Schankraums bestellt. Der Lärmpegel ist hoch, die Schwingtüren zur Küche sind pausenlos in Bewegung. Von seinem Stuhl erhebt sich ein hochgewachsener Mann von 54 Jahren.

DIE ZEIT: Herr Haas, warum dieses laute Lokal? Wollten Sie uns nicht in Ihre Wohnung führen?

Wolf Haas: Ich dachte immer, das ist das Kriterium für die allergrößten Schriftsteller-Nutten, die alles mitmachen: Journalisten in die eigene Wohnung zu lassen. Außerdem hätte ich ungefähr eine Woche aufräumen müssen.

ZEIT: Wir stellen uns das so vor, dass bei Ihnen daheim eine Frau und fünf Kinder sitzen, die nicht zum lonely wolf-Image passen, das Krimi-Autoren ansonsten pflegen.

Haas: Nein, ich wohne allein. Aber es ist tatsächlich so, wenn man Journalisten zu sich nach Hause einladen würde, ginge es sofort los mit der Selbstkontrolle: Wie wirkt dies? Wie wirkt das? Soll ich vielleicht dieses Buch vorher wegwerfen? (lacht) Fragen Sie nicht, welches Buch?

ZEIT: Doch.

Haas: Was ist das peinlichste zurzeit? Fifty Shades of Grey?

ZEIT: Das haben Sie zu Hause rumliegen?

Haas: Nein! Aber es würde mich interessieren …

ZEIT: Ist es nicht langweilig, allein zu leben?

Haas: Manchmal ist es langweilig, aber ich lebe ja an meinem Arbeitsplatz, und da hat das Singledasein große Vorteile. Ich steh auf und fang an zu arbeiten. Ich muss mir nicht überlegen, ob ich vorher duschen soll, weil ich sonst eine Zumutung für meine Mitbewohner wäre oder so.

ZEIT: In Ihren Kriminalromanen gibt es einen namenlosen Erzähler, der dem Protagonisten Simon Brenner überallhin folgt, zu allem eine Meinung hat und den Leser direkt anspricht …

In Haas’ Roman „Das ewige Leben“ schwafelt dieser Erzähler beispielsweise über die Frage, ob man Frauen besser mit einem Barbesuch oder einem Kinobesuch verführt: „Du musst wissen, der Brenner ist irgendwann als junger Mann draufgekommen, dass bei den Frauen, also bei den damaligen Frauen muss ich sagen, ein Problemfilm eine weitaus bessere Wirkung gehabt hat als zum Beispiel ein richtiger Film. Manche waren nach einem dreistündigen Problemfilm sogar zugänglicher als nach einem dreistündigen Barbesuch, und da ist die Kinokarte ja wesentlich billiger gekommen. Einziger Nachteil, dass der Brenner oft nach einem Problemfilm selber keine rechte Lust mehr gehabt hat und noch einen doppelt so langen Barbesuch gebraucht hat, um den Problemfilm zu vergessen.“

ZEIT: … wie bringen Sie diesen speziellen Ton zustande? Diese Mischung aus Bescheidwissen und Naivität? Muss man sich beim Schreiben in diesen Erzähler verwandeln – wie ein Schauspieler in seine Figur?

Haas: Ja, ich versetze mich schon in diesen fiktiven Menschen. Bei Fotos von Lesungen fällt mir auf, dass ich immer ganz fremd ausschaue und ein leicht idiotisches Gesicht mache – wie ein Darsteller.