In „The Every,“ Dave Eggers imagines a monopoly so vast that resistance is futile.

Quelle: What if Facebook and Amazon merged? Dave Eggers imagines our dystopian future

What was first? Dave Eggers‘ novel or this reality?

A former Facebook employee has told US politicians that the company’s sites and apps harm children’s mental health and stoke division in society.

Frances Haugen, a 37-year-old former product manager turned whistleblower, heavily criticised the company at a hearing in the Senate.

Facebook has faced growing scrutiny and increasing calls for its regulation. (…)“

https://www.bbc.com/news/world-us-canada-58805965

Der dritte Kreis der Hölle: Dave Eggers’ „Der Circle“ im Vergleich mit Huxley und Orwell.

Dave Eggers’ „Der Circle“ Der dritte Kreis der Hölle

Normierung war einmal Sache der Polizei, in Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ übernimmt es das Individuum selbst. Was verbindet und was trennt diese Dystopie von Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“?

09.08.2014, von ANDREAS BERNARD

Artist's rendering of the proposed Amazon corporate headquarters in Seattle

© REUTERS Vergrößern Architektur für eine geschlossene Welt: Entwurf für das Amazon-Hauptquartier in Seattle

Es ist ein Kennzeichen der Gegenwart, dass Handlungen, die im 20. Jahrhundert unweigerlich auf autoritäre Staaten bezogen wurden, heute freiwillig und im Zeichen der Individualität geschehen. Auf dem Gebiet der Reproduktionsmedizin haben Verfahren wie die Pränatal- oder Präimplantationsdiagnostik dazu geführt, dass kaum noch Kinder mit Behinderungen geboren werden; besorgte Elternpaare lösen längst jenes prekäre Versprechen ein, das die Eugeniker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur forderten. In den Sozialen Netzwerken pflegen die Benutzer Tag für Tag ihre „Profile“ und teilen der Community per GPS-Signal die neuesten Joggingerfolge oder ihren Aufenthaltsort im Nachtleben mit – lauter Techniken der Wissenserzeugung also, die ursprünglich zur kriminologischen Erfassung abweichender Subjekte entwickelt wurden („Profile“ gab es mehr als hundert Jahre lang nur von Wahnsinnigen und Serienmördern, Ortungsdienste kamen zum Einsatz, um nach entflohenen Straftätern zu fahnden).

Die beiden berühmtesten Schreckensvisionen der Weltliteratur im 20. Jahrhundert spielen genau solche Szenarien totalitärer Unterdrückung durch, von der Empfängnis bis zum Tod. Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ von 1932 handelt von einem autoritären Weltstaat, der Liebe und sexuelle Fortpflanzung unter Strafe stellt und seine Untertanen durch künstliche Erzeugung in Flaschen fabrikgleich produziert. George Orwells „1984“, gut 15 Jahre später erschienen, entwirft das Bild eines Regimes, das seine Bevölkerung durch omnipräsente Bildschirme überwacht und gleichschaltet. Nun erscheint Dave Eggers’ „The Circle“ auf Deutsch, und in den Debatten, die das Buch in den Vereinigten Staaten ausgelöst hat, wurde es immer wieder in die Tradition dieser dunklen Klassiker gestellt.

Verfilmung von George Orwells "1984" © picture-alliance / akg-images Vergrößern Die düstere, klar erkennbare Dystopie: Szene aus einer Verfilmung von George Orwells „1984“

Drei literarische Dystopien, drei Geschichten von einem allmächtigen Gebilde, das seine Umwelt tyrannisiert – und es ist so entscheidend wie verstörend, dass Eggers, dessen Roman sich (bewusst oder intuitiv) stark an die Vorbilder Aldous Huxleys und George Orwells anlehnt, zunächst aus genau entgegengesetzter Perspektive erzählt, aus einer Sphäre der Freiheit und Selbstverwirklichung. In „Schöne neue Welt“ und „1984“ war vom ersten Satz an klar, dass man es mit einem repressiven politischen System zu tun hat (das Huxley als Reaktion auf die eugenischen Forschungen seines Bruders Julian, Orwell unter dem Einfluss des gerade zu Ende gegangenen Zweiten Weltkriegs erschuf).

„Der Circle“ dagegen beginnt in einer beinahe vertrauten Gegenwart, deren demokratische Verfassung immer wieder betont wird, in der Zentrale eines fiktiven Internet-Unternehmens, das nur konsequent zusammenführt, was Google, PayPal, Facebook oder Twitter seit eineinhalb Jahrzehnten unabhängig voneinander getan haben. Mit dem Social-Media-Konzept „TruYou“ hat die Firma Circle alle Konkurrenten überflüssig gemacht: „ein Konto, eine Identität, ein Passwort, ein Zahlungssystem pro Person. Schluss mit mehrfachen Identitäten. Ein einziger Button für den Rest deines Onlinelebens.“ Der Roman begleitet seine Hauptfigur, Mae Holland, bei ihrem heißersehnten Eintritt in den Konzern und ihrem Aufstieg durch die Hierarchien.

Was genau musste geschehen, dass die Internet-Community Nordkaliforniens, entstanden aus dem Geist der Hippies und der 68er-Kultur, von einem Roman in die Nähe totalitärer Regime gerückt wird? Auf den ersten Blick kann es ja keine verschiedenartigeren Konzepte geben: Der Circle ist ein soziales, humanitär engagiertes Unternehmen; seine Geschäftsmodelle feiern Individualität und unterdrücken sie nicht wie der Weltaufsichtsrat in „Schöne neue Welt“ oder der „Gedankentrust“ in „1984“. Dennoch entfalten die auf alle Gänge und Wände des Hauptquartiers projizierten Leitlinien–„Leidenschaft, Partizipation, Transparenz“ – nach und nach eine beklemmende und tyrannische Macht. Aus Freiwilligkeit wird Zwang, aus Aufklärung Despotismus, aus Einzigartigkeit Konformität, und die letzten Außenseiter, die sich diesem Terror der Sichtbarkeit widersetzen wollen, brechen zusammen oder kommen ums Leben, wie Maes engste Vertraute im Unternehmen und ihr ehemaliger Freund.

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Überwachung: Diese Welt ist neu, ist sie auch schön? | ZEIT ONLINE.

Diese Welt ist neu, ist sie auch schön?

Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ wurde in Amerika als Manifest unserer nahen Zukunft gelesen. Jetzt erscheint er auf Deutsch. Er handelt vom gläsernen Menschen und von einer Firma, die im digitalen Zeitalter alles über uns weiß. Seit George Orwells „1984“ greift kein Werk unsere Angst vor Überwachung so dramatisch auf. Fünf Fragen zu diesem Buch – und fünf Antworten von , , , Marie Schmidt und

Überwachung: Diese Welt ist neu, ist sie auch schön?

Soziale Kontrolle und Überwachung kommen vielleicht ganz sanft daher, so wie dieser Architektenentwurf für den Apple Campus in Cupertino.  |  Abb.: Foster + Partners/ARUP/Kier + Wright/OLIN/Apple

Zeigt „Der Circle“ eine reale Firma?

Von David Hugendick

Alles, was aus dem Inneren des Internetkonzerns Google berichtet wird, alles, was erleuchtete Heimkehrer aus dem Silicon Valley über die nahezu kultische Atmosphäre des wichtigsten Suchmaschinendienstes der Welt erzählen, findet sich auch in Dave Eggers’ fiktivem Konzern The Circle: Da ist zum Beispiel der Minigolfplatz, da ist das 24-Stunden-Buffet für alle Mitarbeiter, da ist diese professionalisierte gute Laune, die alle Arbeit wie ein Spiel aussehen lässt. Es ist eine hochmoderne Ent- und Verwirklichungsanstalt, die dem entgrenzten Kapitalismus ein menschliches Antlitz gibt. Tatsächlich ist im Roman einmal von Google die Rede. Als Eggers sein fiktives Unternehmen beschreibt, heißt es, dessen Macht habe die von „Facebook, Twitter, Google“ überlagert, gleichfalls die der – ebenfalls fiktiven – Konzerne „Alacrity, Zoopa, Jefe und Quan“. In der Firma Circle haben sich alle bekannten Internetdienste zentralisiert.

Es fällt leicht, Circle für ein literarisiertes Google zu halten. Doch bezieht sich der Roman auf Google höchstens als eine Chiffre. Er bezieht sich auf die gängigen, bedrohlichen Projektionen, hinter denen sich alarmistische Diskurse verbergen: über die allmähliche digitale Annexion sämtlicher Lebensbereiche, über den gläsernen Bürger und über eine Macht, die sich staatlichem Zugriff und staatlicher Kontrolle entzieht. Dieser Roman verdichtet alle Schreckensbilder, die über das vermeintliche Allmachtsstreben von Internetkonzernen kursieren.

Die Geschichte spielt in der Zukunft, aber man erkennt die Phänomene des digitalen Zeitalters, die in Dave Eggers’ Roman vorkommen, schon jetzt frappierend gut wieder. Deshalb ist Der Circle in den USA, wo er vorigen Herbst erschien, kontrovers aufgenommen worden. Internetskeptiker fühlten sich verstanden, Technikkundige wiesen Eggers sachlichen Unverstand nach. Jedenfalls wurde das Buch viel gelesen, und ein Kritiker prophezeite ihm gerade in Deutschland Erfolg. Die Deutschen gelten den innovationsbegeisterten Amerikanern als besonders pessimistisch unter den düsteren Europäern.

Eggers fantasiert sie bloß aus: die Erlösungsvisionen von der technologischen Perfektibilität des Menschen und der Welt, die vom Silicon Valley aus verkündet werden. Die Wahlsprüche des Circle fassen sie gut zusammen: Geheimnisse sind Lügen, sharing is caring, Privatsphäre ist Diebstahl. Dass sich das Wesen der Menschheit durch permanente Kommunikation und allumfassende Transparenz zum Besseren wende, ist ein Dogma, das nicht nur Teile der realen Internetkonzerne (und die Piratenpartei) propagieren, sondern auch ihre – mehr oder weniger – intellektuellen Lobbyisten wie der Journalistikdozent Jeff Jarvis oder der Technikkreationist Kevin Kelly, aber auch Julian Assange von WikiLeaks („Geheimnisse sind Lügen“).

Für Eggers’ Darstellung des Silicon Valley gilt: Ein Gehirn wäscht das andere. Es ist die Hölle, die sich als Paradies verkleidet hat. Der gewöhnliche Circle-Mitarbeiter besitzt die brachial überzeichnete Mentalität des Digitaladventisten. Er will die hierarchielose Wertschätzung von Information, die Aufgabe des Privaten zugunsten der Gemeinschaft und besitzt ein vulgärhegelianisches Verständnis vom unaufhaltbaren Fortgang des Weltenlaufs, in dem gemacht wird, was (technologisch) gemacht werden kann und muss. Hinter seinem Komfortgequatsche verbirgt sich der Wunsch, die Welt in ein Panoptikum zu verwandeln, in dem jeder der Überwacher des anderen wird. All das zum Wohle der Gemeinschaft, in der das Individuum nur noch als auswertbarer Datensatz vorliegt.

Ob Google das in Wirklichkeit möchte, darf man bezweifeln – auch wenn sich in Die Vernetzung der Welt, dem Buch des Firmenchefs Eric Schmidt, Sätze finden wie dieser: „Transparenz und neue Chancen eröffnen unbegrenzte Möglichkeiten. Vernetzung und Technologien sind der beste Weg, um das Leben in aller Welt zu verbessern. Bekommen Menschen Zugang zu beidem, kümmern sie sich selbst um den Rest.“